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Die Botschaft des Kreuzes

angesichts seiner schweigenden Geduld: „Das ist ein Heiliger“[1]. Seine Tunik wurde bei den Geißelungen mit Blut getränkt – er mußte sie so wieder anziehen und sie während der 9 Monate seiner Haft behalten. Man kann sich denken, was er in den glühend heißen Sommermonaten davon zu leiden hatte. Das Essen, das man ihm brachte, verursachte ihm solche Beschwerden, daß er meinte, man wolle ihn dadurch töten. Er machte bei jedem Bissen einen Liebesakt, um der Versuchung zur Verleumdung zu entgehen.

Wir wissen, wie eng er mit den nächsten Angehörigen verbunden war. Mit ganzem Herzen war er auch dem Reformwerk ergeben, der hl. Mutter und den andern, die in dieser großen Aufgabe mit ihm eins waren, die ihr Leben gleich ihm – zum größten Teil unter seiner persönlichen Leitung – dem Ideal des ursprünglichen Karmels geweiht hatten. Er hat später, als die Pflicht ihn jahrelang in Andalusien festhielt, seinem Heimweh nach Kastilien und dem vertrauten Kreis offenen Ausdruck gegeben: „Seitdem mich jener Walfisch verschlungen und an diesen fernen Hafen ausgespieen hat, wurde mir nie mehr die Freude zuteil, Sie zu sehen, noch auch die Heiligen, die dort leben“[2]. Nun war er so von ihnen allen getrennt, daß er keine Nachricht geben konnte all die Monate lang. „Bisweilen betrübte ich mich bei dem Gedanken, man würde von mir sagen, ich hätte dem Begonnenen den Rücken gekehrt, und ich empfand den Schmerz der hl. Mutter“[3].

Doch es gab noch viel schmerzlichere Entbehrungen. Am 14. August 1578 kam der Prior Maldonado mit zwei Ordensleuten in seinen Kerker. Der Gefangene war so schwach, daß er sich kaum rühren konnte. Er sah nicht auf, in der Meinung, sein Kerkermeister sei eingetreten. Der Prior stieß ihn mit dem Fuß an und fragte ihn, warum er in seiner Gegenwart nicht aufstehe. Als er um Verzeihung bat und versicherte, er habe nicht gewußt, wer da war, fragte P. Maldonado: „Woran dachten Sie, daß Sie so versunken waren?“ „Ich dachte, daß morgen das Fest U. L. Frau ist und daß es mir ein großer Trost wäre, wenn ich die hl. Messe lesen könnte“[4]. Wie


  1. Vgl. die Quellenangaben bei P. Bruno, St Jean, S. 407 ff.
  2. Brief an Katharina von Jesus aus Baëza, vom 6. VII. 1581, E. Cr. III 79. Die hl. Mutter verwandte sich auch für ihn bei P. Gratian um seine Rückberufung nach Kastilien zu bewirken (362. Brief aus Palencia, vom 23. oder 24. März 1581 an P. Hieronymus Gracian. In der neuen deutschen Ausgabe der Schriften, Bd. IV, München 1939, S. 374).
  3. So vertraute er später der ehrw. Anna vom hl. Albertus an. (P. Bruno, St Jean, S. 174)
  4. Es wurde ihm schroff abgeschlagen, aber U. L. Frau kam ihm unmittelbar danach persönlich zu Hilfe. (Vgl. a. a. O. S. 183 ff.)
Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 23. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/023&oldid=- (Version vom 3.8.2020)