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Entblößung der geistigen Kräfte in der aktiven Nacht

c) Untauglichkeit alles Geschaffenen als Mittel zur Vereinigung. Unzulänglichkeit natürlicher und übernatürlicher Erkenntnis

Man spürt hier den Herzschlag unseres heiligen Vaters. Er spricht von der großen Wahrheit, die er erkannt hat, die zu künden seine Sendung ist: unser Ziel ist die Vereinigung mit Gott, unser Weg der gekreuzigte Christus, das Einswerden mit Ihm im Gekreuzigtwerden. Das einzig entsprechende Mittel dazu ist der Glaube. Das soll nun bewiesen werden, indem gezeigt wird, daß kein anderes wirkliches oder gedachtes Ding dazu taugen kann. Jedes Mittel muß seinem Zweck entsprechen. Mittel zur Vereinigung mit Gott kann nur sein, „was mit Gott in Verbindung bringt und die größte Gleichförmigkeit mit Gott hat“. Das kann man von keinem geschaffenen Wesen sagen. Wohl stehen alle in einer gewissen Beziehung zu Gott und tragen eine gewisse Spur Gottes an sich. „Doch von Gott zu den Geschöpfen hin gibt es keine Beziehung, keine Wesensähnlichkeit. Denn der Abstand zwischen Seinem göttlichen Sein und dem ihren ist unendlich. Darum ist es auch unmöglich, daß der Verstand durch Vermittlung der Geschöpfe, mögen es himmlische oder irdische sein, vollkommen in Gott eindringen kann....“ Selbst Engel und Heilige sind so fern vom göttlichen Wesen, daß der Verstand durch sie nicht vollkommen an Gott heranreichen kann. Und das gilt von allem, „was die Phantasie ersinnen und der Verstand in diesem Leben zu erfassen vermag“[1]. Die natürliche Welt faßt er nur durch die Formen und Bilder, die die Sinne wahrnehmen. Und die führen auf dem Wege zu Gott nicht voran. Und auch, was ihm von der übernatürlichen Welt hier zugänglich ist, kann ihm zu keiner genauen Kenntnis Gottes verhelfen. Der Verstand kann sich also mit seiner Einsicht keinen angemessenen Begriff von Gott bilden, das Gedächtnis mit seiner Phantasie keine Formen und Bilder schaffen, die Gott wiedergeben könnten, der Wille keine Lust und Wonne kosten gleich jener, die Gott selber ist. Darum muß man, um zu Gott zu gelangen, „vielmehr dahin trachten...., nicht zu verstehen, als verstehen zu wollen; .... eher blind werden und sich in Finsternis versetzen ...., als die Augen öffnen ....“ Darum nennt der Areopagit die Beschauung mystische Theologie, d.h. geheime Gottesweisheit und einen Strahl der Finsternis[2].

Das Dunkel, das zu Gott führt, ist, wie wir schon wissen, der


  1. Aufstieg, B. II Kap. 7, E. Cr. I 128 ff.
  2. Mystische Theologie, I 1; Aufstieg, B. II Kap. 7, E. Cr. I 130.
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Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 56. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/056&oldid=- (Version vom 3.8.2020)