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Untauglichkeit alles Geschaffenen als Mittel zur Vereinigung usw.

er denkt. „Wenn nämlich der Verstand in Betrachtung versenkt ist, dann ist er in Sammlung vereint mit der Wahrheit, über die er nachdenkt; und ebenso ist der Heilige Geist mit ihm in jener Wahrheit vereint, da Er ja stets mit jeder Wahrheit ist. Daraus ergibt sich dann ein Verbindung des Verstandes mit dem Heiligen Geist durch jene Wahrheit. Es leiten sich dann in ihrem Innern nach und nach die übrigen Wahrheiten ab, die mit jener Wahrheit zusammenhängen, über die er nachdenkt, und der Heilige Geist als Lehrer tut die Tür dazu auf und läßt das Licht einströmen“. Trotz dieser Erleuchtung ist man dabei nicht völlig gegen Irrtum gesichert, einmal weil das Licht so fein und geistig ist, daß der Verstand sich darin nicht ganz zurechtfindet; ferner weil er selbst die Vernunftschlüsse bildet und abirren kann. Anfangs hat er „den Faden der Wahrheit sozusagen fest in der Hand; dann fügt er jedoch sogleich von dem Seinen hinzu: die Gewandtheit oder Unbeholfenheit seiner geringen Einsicht....“ Es kann sogar sein, daß ein von Natur aus sehr lebhafter und scharfer Verstand ohne jede übernatürliche Hilfe zu ähnlicher Geistestätigkeit gelangt und dann meint, von Gott erleuchtet zu sein. Zu diesen Gefahren kommt noch die andere, daß die Seele denkt, es sei ihr durch diese vermeintlichen göttlichen Ansprachen etwas Großes widerfahren, und sich von dem Abgrund des Glaubens wegreißen läßt. So soll man sich davor hüten, auch wenn der Verstand sie der Erleuchtung des Heiligen Geistes verdankt. Der Verstand wird nämlich je nach dem Grade seiner Sammlung vom Heiligen Geiste erleuchtet. Aber nirgendwo erlangt er größere Sammlung als im Glauben. „Je reiner und vollendeter eine Seele im Glauben wandelt, um so reicher ist das Maß der eingegossenen Liebe, und nach dem Maß der Liebe erleuchtet sie der Heilige Geist und teilt ihr Seine Gaben mit“. Das Licht, das sie im Glauben empfängt, verhält sich zu dem, was ihr durch jene Beleuchtung einzelner Wahrheiten zuteil wird, wie feinstes Gold zu gewöhnlichem Metall und wie ein Ozean zu einem Wassertropfen. „Denn durch den Verstand erhältst du die Einsicht in eine, zwei oder drei Wahrheiten; im Lichte des Glaubens aber empfängst du die ganze göttliche Weisheit auf einmal, nämlich den Sohn Gottes selber, der sich der Seele im Glauben mitteilt“. Diese Fülle wird beeinträchtigt, wenn man sich um jene übernatürlichen Mitteilungen bemüht. Man soll vielmehr in aller Lauterkeit und Einfalt des Herzens „den Willen auf die Liebe Gottes einstellen....“, ihn „in der Kraft demütiger Liebe fest begründen und wahre Tugend üben“, d.h. „dem Sohn Gottes in Seinem Leben und Leiden nachfolgen und in allem sich abtöten. Denn das allein ist der Weg zu allen geistigen

Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 67. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/067&oldid=- (Version vom 3.8.2020)