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Untauglichkeit alles Geschaffenen als Mittel zur Vereinigung usw.

daß sie sich deutlich wahrnehmbar der Seele einprägen, unterscheiden sich aber von ihnen durch ihre starke und wesentliche Wirkung: sie bringen in der Seele das hervor, was sie sagen. Spricht der Herr zu ihr: Liebe mich!, so wird sie, wenn es substantielle Worte sind, sofort die wahre Gottesliebe besitzen und verspüren. Die Worte: Fürchte nichts! werden in einer ängstlichen Seele im gleichen Augenblick großen Mut und Frieden erwecken. Solche Ansprachen sind für die Seele „Leben und Kraft und unvergleichliches Gut. Eine einzige von ihnen wirkt in solchem Augenblick in der Seele mehr Gutes, als sie während ihres ganzen Lebens zustande gebracht hat“. Sie hat dann nichts zu tun, nichts zu wünschen, nichts zu fürchten. Es ist auch gleichgültig, ob sie die Ansprachen will oder sich dagegen sträubt. Sie braucht auch nicht dafür zu sorgen, das Vernommene in die Tat umzusetzen, weil ja Gott selbst es wirkt. Die Ansprachen werden ihr ohne ihr Verlangen zuteil. Sie „soll sich nur in demütiger Ergebung ihnen überlassen. Sie braucht sich ihrer auch nicht zu erwehren; denn ihre Wirkung ist wesenhaft in der Seele: eine Fülle der göttlichen Gnade; da die Seele diese Wirkung rein empfangend erfährt, ist ihre eigene Tätigkeit im ganzen von geringer Bedeutung“. Es sind auch hier keine Täuschungen durch den Verstand oder den Teufel zu befürchten, weil beide zu solchen substantiellen Wirkungen nicht fähig sind. Nur, wenn eine Seele sich in einem freien Pakt dem Teufel verschrieben hätte, könnte er ihr seine Gedanken und Worte einprägen; aber das wären schlimme Wirkungen, unmöglich könnte er den göttlichen gleichgeartete hervorbringen.

„So tragen diese substantiellen Ansprachen viel zur Vereinigung der Seele mit Gott bei. Je innerlicher sie sind, desto mehr durchdringen sie das Wesen und desto größeren Fortschritt bewirken sie“[1].

Als vierte und letzte Gattung intellektueller Wahrnehmungen wurden die geistigen Empfindungen genannt. Sie können zweifacher Art sein: geistige Empfindungen, die in der Neigung des Willens wurzeln; und geistige Empfindungen, die im Wesen der Seele ihren Sitz haben. Schon die ersten sind, wenn sie von Gott stammen, etwas sehr Hohes. Die zweiten vollends „überragen alle anderen und sind überreich an Segen und Nutzen“. Es ist für die Seele und auch für ihren Führer ganz unergründlich, wie und warum Gott ihr solche Gnaden erweist. Sie sind von ihren Betrachtungen und ihren Werken nicht abhängig. Wohl kann man sich dadurch für solche


  1. a. a. O. B. II Kap. 29, E. Cr. I 261 ff.
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Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 69. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/069&oldid=- (Version vom 3.8.2020)