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Entblößung der geistigen Kräfte in der aktiven Nacht

Später wird eine ergänzende Erklärung gegeben: „.... Alles, woran sich der Wille in bestimmter Weise erfreuen kann, ist etwas Süßes oder Ergötzliches, und kein süßes oder ergötzliches Ding ist Gott: da nämlich Gott für die Auffassungen (aprehensiones) der andern Vermögen unerreichbar ist, ist er es auch für die Begierden und Neigungen des Willens. Und da die Seele in diesem Leben Gott nicht wesenhaft zu kosten vermag, so kann keine Süßigkeit und kein Ergötzen, das man kosten kann, mag es auch noch so erhaben sein, Gott sein. Der Wille kann ja auch etwas nur in bestimmter Form kosten und begehren, sofern er es als dieses oder jenes Ding erkennt. Da nun der Wille Gott niemals gekostet hat, wie Er ist, noch Ihn durch irgendwelche Auffassung des Begehrungsvermögens erfaßt hat, so weiß er auch nicht, was Gott ist, noch was es heißt, Ihn zu genießen.... So ist es denn klar, daß kein bestimmtes Ding, woran der Wille sich freuen kann, Gott ist“. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, dem Begehren jeden Genuß an natürlichen wie an übernatürlichen Dingen zu versagen, um zur Vereinigung mit Gott zu gelangen. Die Vereinigung ist nur möglich durch die Liebe. „Und da das Ergötzen, die Süßigkeit und der Genuß, die dem Willen zuteil werden können, nicht Liebe sind, so folgt, daß keines dieser Wonnegefühle für den Willen ein geeignetes Mittel zur Verbindung mit Gott sein kann. Das ist vielmehr allein die Tätigkeit des Willens, und die ist durchaus verschieden von seinen Gefühlen. Durch seine Tätigkeit vereinigt sich der Wille mit Gott und hat Ihn zum Ziel in der Liebe; (er kommt nicht zur Vereinigung) durch die Gefühle und Auffassungen des Begehrungsvermögens, die ihren Sitz, ihr Ziel und ihren Abschluß in der Seele haben. Die Gefühle können nur als Beweggründe zur Liebe dienen ...., und nicht mehr“. Sie führen „die Seele nicht aus sich selbst zu Gott, sondern wollen sie in sich selbst Genüge finden lassen. Die Tätigkeit des Willens dagegen besteht in der Liebe zu Gott, richtet die Seele allein auf Ihn, erhebt sich über alle Dinge und liebt Ihn über alle. Wenn darum jemand zur Liebe Gottes angeregt wird durch ein süßes Gefühl, so gehe er über dieses süße Gefühl hinaus und wende seine Liebe Gott zu, den er ja nicht gefühlsmäßig erfassen kann“. Sich diesem Gefühl zuwenden hieße „seine Liebe etwas Geschöpflichem zuwenden .... und den Beweggrund mit dem Endpol verwechseln. Dadurch würde die Willenstätigkeit eine verkehrte. Nur in Dunkelheit und Leere von allem, was der Wille empfinden und der Verstand erkennen kann, liebt die Seele in Sicherheit und wahrhaft im Geist des Glaubens ....“[1] Darum „wäre es sehr töricht, wenn es einem an


  1. a. a. O. B. III Kap. 45, E. Cr. I 402 ff. (früher unveröffentlicht).
Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 80. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/080&oldid=- (Version vom 3.8.2020)