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Läuterung des Willens

Willen. Man gewinnt sogar mehr Freude an den Geschöpfen in der Entäußerung: eine Freude, wie sie der Habsüchtige nie kosten wird, weil es ihm in seiner Unruhe an der nötigen Geistesfreiheit fehlt. Der Befreite erkennt die Güter in ihrem wahren natürlichen und übernatürlichen Wert. „Er kostet die Wahrheit, das Bessere und das Wesen ...., jener aber, der sie nur mit den Sinnen betrachtet, das Trügerische, das Schlimmere und das Unwesentliche“. „Wer sein Herz frei bewahrt, wird weder beim Gebet noch außerhalb des Gebets durch Sorgen beunruhigt. Er sammelt sich ohne Zeitverlust auf leichte Art eine Fülle geistlicher Schätze, während ein anderer, dessen Herz mit einer Schlinge gefangen an die Geschöpfe gebunden ist, sich immer hin und her windet.... Sobald also die geistliche Seele die erste Regung der Freude an einem Geschöpf in sich erwachen sieht, muß sie diese zu unterdrücken suchen....“ So bewahrt man das Herz „frei für Gott, und das ist die wesentliche Vorbedingung für alle Gnaden, die Gott einem erweisen will....“ Gott vergilt „den Verzicht auf eine einzige, wenn auch vorübergehende Freude aus Liebe zu Ihm und zur evangelischen Vollkommenheit schon in diesem Leben hundertfach....“ Andererseits „müssen wir fürchten, daß Gott jedesmal, sooft wir eitle Freude in uns aufkommen lassen, entsprechend unserem Fehler schwere Strafe über uns verhängt....“[1]

Eine zweite Gruppe bezeichnet Johannes als natürliche Güter: die Vorzüge des Leibes und der Seele, z.B. Schönheit und Anmut des Körpers, klarer Verstand und gesundes Urteil. Sie sind für den, der sie besitzt, und auch für andere eine Versuchung zu Anhänglichkeit und eitler Freude. Dem zu entgehen, soll man „bedenken, daß die Schönheit und alle andern natürlichen Gaben Erde sind und wieder zu Erde werden, von der sie gekommen sind; daß Anmut und Liebenswürdigkeit Rauch und Dunst dieser Erde sind....“ Man soll „sein Herz auf Gott gerichtet halten in Freude und Jubel darüber, daß sich in Gott alle Schönheit und Anmut im erhabensten, alle Geschöpfe unendlich überragenden Grade finden“[2].

Die besonderen Nachteile, die sich aus der Freude an den natürlichen Gütern ergeben, sind „Eitelkeit, Anmaßung, Stolz und Geringschätzung des Nächsten“; Erregung der Sinnlichkeit und Nachgiebigkeit dagegen; die Sucht zu Schmeicheleien und eitlen Lobeserhebungen, die auf andere einen schädlichen Einfluß ausüben; eine noch stärkere Abstumpfung des Verstandes und der Urteilskraft als bei


  1. a. a. O. B. III Kap. 19, E. Cr. I 326 ff.
  2. a. a. O. B. III Kap. 20, E. Cr. I 330 f.
Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 83. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/083&oldid=- (Version vom 3.8.2020)