Seite:Edith Stein - Kreuzeswissenschaft.pdf/086

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Entblößung der geistigen Kräfte in der aktiven Nacht

angenehmer Dinge .... bringt die Sinne und den Geist vollkommen in Unordnung und zerstört ihre Kraft und Lebensfrische. Daraus entwickelt sich jenes verabscheuungswürdige Laster der Weichlichkeit, .... sie nährt die Ausschweifung, macht die Seele weibisch und furchtsam, die Sinne .... stets bereit zum Sündigen und Schadenstiften. Sie erfüllt das Herz mit eitler Ausgelassenheit und führt zur Unbeherrschtheit der Zunge und Freiheit der Augen. Sie hemmt die Urteilskraft und verführt zu Torheit und geistiger Nichtigkeit; in sittlicher Hinsicht erzeugt sie Kleinmut und Unbeständigkeit, verdunkelt die Seele, schwächt das Herz und macht es furchtsam, wo nichts zu fürchten ist. Aus dieser Freude entspringt auch gar oft der Geist der Verwirrung und Unempfindlichkeit für die Stimme des Gewissens und des Geistes. Dadurch wird der Verstand sehr geschwächt und gerät in eine Verfassung, in der er weder guten Rat annehmen noch geben kann und unempfänglich wird für die geistigen und sittlichen Güter, unnütz wie ein zerbrochenes Gefäß“[1]. Alle diese Nachteile richten aber mehr oder weniger Schaden an je nach der Leidenschaftlichkeit der Freude und der Empfänglichkeit der verschiedenen Naturen.

„Staunenswert sind die Vorteile, die die Seele aus dem Verzicht auf diese Freuden gewinnt....: sie erstarkt im Kampf gegen die Zerstreuungen .... und sammelt sich wieder in Gott. Der Geist bewahrt sich sorgsam und die erworbenen Tugenden nehmen zu und blühen von neuem auf“. Sodann vollzieht sich eine erhabene Umgestaltung: „Wir können in Wahrheit sagen, daß das Sinnliche zum Geistigen wird, das Tierische zum Vernünftigen, daß der Mensch der Engelsnatur ähnlich wird, das Irdische und Menschliche zu Göttlichem und Himmlischem“. Dem Willen wird auch schon in diesem Leben die hundertfache Vergeltung zuteil, die der Heiland verheißen hat (Matth. 19,29). Er tauscht für die sinnliche Freude geistige ein und bleibt stets mit Gott verbunden. Wie bei den Stammeltern im Paradies dienen nun alle Sinneseindrücke zur Mehrung der Beschauung. Schließlich werden im Glorienleben zum Lohn für die Entsagung „die leiblichen Gaben, wie Beweglichkeit und Klarheit, weit erhabener sein als bei denen, die den sinnlichen Freuden nicht entsagt haben; überdies wird die wesentliche Vermehrung der Glorie, die dem Grade der Liebe entspricht ...., in der Seele für jede augenblickliche und vorübergehende Freude, der sie entsagt hat, .... eine unermeßliche, ewige Herrlichkeit wirken (2 Cor. 4,17)“[2].


  1. a. a. O. B. III Kap. 24, E. Cr. I 343 f.
  2. a. a. O. B. III Kap. 25, E. Cr. I 346 ff.
Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 86. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/086&oldid=- (Version vom 3.8.2020)