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Läuterung des Willens

weil sie die Kirche eigens zu diesem Zwecke bestimmt und geweiht hat“[1].

Die bisher genannten Verirrungen „sind vielleicht noch einigermaßen erträglich und einer unschuldigen Begeisterung zuzuschreiben“. Aber ganz unleidlich ist das grenzenlose Vertrauen vieler „auf allerlei Förmlichkeiten, die Menschen von geringer Einsicht und mangelnder Einfalt des Glaubens ausgedacht haben“. Sie schreiben bestimmten Übungen solche Kraft zu, daß sie meinen, „es sei alles nutzlos und Gott erhöre sie nicht, wenn auch nur ein Pünktchen fehle oder wenn sie zu weit gingen. Sie setzen mehr Vertrauen auf diese Übungen als auf den lebendigen Geist des Gebets: eine große Verunehrung und Beleidigung Gottes! So soll eine Messe mit so und so viel Kerzen gelesen werden mit nicht mehr und nicht weniger; ein ganz bestimmter Priester soll sie lesen, genau zu dieser Stunde, weder früher noch später.... Und fehlt etwas davon, so ist alles umsonst.... Noch schlimmer und unerträglicher ist es, wenn andere den Anspruch erheben, eine Wirkung ihres Gebetes in sich zu verspüren oder zu erlangen, um was sie bitten, oder auch die Versicherung zu bekommen, daß die Erhörung eine unmittelbare Folge ihres abergläubischen Gebetes sei“[2]. „Solche Personen sollen wohl bedenken, daß ihr Vertrauen auf Gott um so geringer ist, je mehr sie den eitlen äußeren Förmlichkeiten zuschreiben. Und darum erlangen sie auch nicht von Gott, um was sie Ihn bitten. Gar manchen liegt die Erfüllung ihrer Wünsche weit mehr am Herzen als die Verherrlichung Gottes....“ „Weit wichtiger wäre es, wenn sie ihre Kraft wichtigeren Dingen zuwenden würden, etwa der vollkommenen Reinigung ihres Gewissens oder dem Verständnis dessen, was ihnen zum Heil dient.... Denn so lautet die Verheißung des Herrn im Evangelium: ,Suchet zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit, und alles übrige wird euch hinzugegeben werden’ (Matth. 6, 33). Diese Bitte um das ewige Heil gefällt Gott am meisten, und es gibt kein besseres Mittel, die Erfüllung der Wünsche unseres Herzens zu erlangen, als die ganze Kraft unseres Gebetes auf das zu richten, was Gott am meisten wohlgefällig ist. Denn da wird Er uns nicht bloß das geben, um was wir Ihn bitten, das ewige Heil, sondern auch alles, was Er für uns als gut und zuträglich erkennt.... ,Nahe ist der Herr allen, die Ihn anrufen; die Ihn anrufen in Wahrheit’ (Ps. 144,18). In Wahrheit aber rufen Ihn jene an, die Ihn um die höchsten, wahren Güter bitten, wie es die Angelegenheiten des Heils


  1. a. a. O. B. III Kap. 41, E. Cr. I 390 ff.
  2. a. a. O. B. III Kap. 41, E. Cr. I 393 f.
Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 95. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/095&oldid=- (Version vom 3.8.2020)