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Wechselseitige Aufhellung von Geist und Glauben

dessen ist, was wir als von Gott offenbarte Wahrheit gläubig angenommen haben) , sondern als credere in Deum, in Gott hineinglauben, sich gläubig in Ihn hineinbegeben.

Das ist das Höchste, was im Glaubensleben kraft eigener Tätigkeit erreichbar ist, wenn auf Grund davon als sachgemäße Folgerung auch die Hingabe des eigenen Willens in den göttlichen, die Regelung alles Tuns und Lassens nach dem göttlichen Willen vollzogen wird. Es ist auch bereits eine weitgehende Erhebung des Geistes über die natürlichen Seinsbedingungen hinaus. Die Glaubenswahrheiten bringen uns zwar Gott zunächst durch Bilder und Gleichnisse und durch Begriffe nahe, die von den geschaffenen Dingen hergenommen sind. Aber darüber hinaus lehren sie uns, daß Gott über alles Geschaffene hinausgeht und über alles Fassen und Begreifen ist. Darum müssen wir alle Geschöpfe hinter uns lassen und alle unsere Kräfte, mit denen wir die Geschöpfe fassen und begreifen, um uns im Glauben zu Gott, dem Unfaßlichen und Unbegreiflichen, zu erheben[1]. Dazu sind weder die Sinne fähig noch der Verstand, wenn wir darunter die Fähigkeit zu begrifflichem Denken verstehen. In der gläubigen Hingabe an den unbegreiflichen Gott sind wir reiner Geist, gelöst auch von allen Bildern und Begriffen – eben darum im Dunkeln, weil die Welt unserer Tagesansicht sich aus Bildern und Begriffen aufbaut, gelöst auch aus dem Mechanismus einer Mannigfaltigkeit verschiedener Kräfte, geeint und einfach in einem Leben, das Erkennen, Eingedenksein und Lieben in einem ist. Wir stehen damit erst an der Schwelle des mystischen Lebens, am Eingang zu der Umformung, die durch die Nacht des Geistes erreicht werden soll. Aber wir sind bis zu dem gelangt, was bei der Aufhebung der Kräfte unangetastet bleibt. Es muß ja etwas bleiben, wenn erst nach Aufhebung der Kräfte die Vereinigung mit Gott und die Umformung in Gott möglich sein soll. Und dieses Etwas, jenseits von Sinnlichkeit und sinnlich-gebundenem Verstand, muß erst der Geist im eigentlichen Sinne sein. Johannes spricht in diesem Zusammenhang auch vom Wesen der Seele. Die Seele ist ihrem Wesen nach Geist und ist ihrem innersten Wesen nach empfänglich für alles Geistige, für Gott, den reinen Geist, und alles, was Er geschaffen hat und was seinem innersten Wesen nach auch geistig ist. Aber sie ist eingesenkt in die Leiblichkeit und hat die leibgebundenen Sinne als Aufnahmeorgane für das, was stofflich ist. Im Zustand des Falls sind diese dienenden Organe zu herrschenden geworden. Der Geist


  1. Es wird hier allein die negative Beschauung dargelegt, auf die der hl. Johannes vom Kreuz im besonderen eingeht, nicht aber der Weg zur affirmativen Beschauung. Anm. d. Herausgeber.
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Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 104. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/104&oldid=- (Version vom 3.8.2020)