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Tod und Auferstehung

Und statt mit Trost wird sie mit neuem Schmerz erfüllt, da nach ihrer Ansicht dies alles ihrem üblen Zustand nicht abhelfen kann. Und es ist auch in der Tat so. Denn solange der Herr die Reinigung nicht so vollzogen hat, wie es Ihm gefällt, findet sich kein Mittel und keine Arznei, ihren Schmerz zu lindern“. Das dauert so lange, „bis sie ganz sanft, demütig, gereinigt im Geist ist und so scharfsinnig, einfältig und fein, daß sie eins werden kann mit dem Geist Gottes, je nach dem Grade der Liebesvereinigung den ihr Seine Barmherzigkeit gewähren will....“ Nach diesem Grade richtet sich die Schärfe und Dauer der Reinigung. Meist dauert sie Jahre hindurch, aber mit Unterbrechungen, „in denen die dunkle Beschauung nach Gottes Anordnung nicht in reinigender, sondern erleuchtender und wohltuender Weise auf die Seele einwirkt. Die Seele, wie aus einem unterirdischen Kerker und aus Fesseln entronnen, aufatmend in Freiheit und Zwanglosigkeit, fühlt und genießt dann die Hinneigung zur höchsten Wonne des Friedens und der liebenden Freundschaft mit Gott in leichter, überfließender geistiger Mitteilung“. Da meint man nun, alle Beschwerden hätten für immer ein Ende, so wie man früher glaubte, die Pein werde niemals mehr aufhören. Das liegt daran, daß „im Geist der gegenwärtige Besitz eines Inhaltes von selbst den gegenwärtigen Besitz und das Empfinden des entgegengesetzten ausschließt. Im sinnlichen Teil der Seele verhält es sich nicht so wegen der Schwäche der Aufnahmefähigkeit. Weil aber der Geist hier noch immer nicht ganz gereinigt und geläutert ist von den Neigungen, die der niedere Teil sich zugezogen hat, so kann er noch in seinen Schmerzen einen Wandel erfahren..., wenn auch der Geist als Geist sich nicht ändert“. Aber die Meinung, es seien nun alle Mühseligkeiten vorüber, hat die Seele nicht oft. „Denn solange die geistige Reinigung nicht ganz vollzogen ist, werden ihr die süßen Mitteilungen Gottes selten in solcher Fülle zuteil, daß sie die noch zurückbleibende Wurzel (der Unvollkommenheit) ganz bedecken; die Seele hat noch immer in ihrem Innern das Gefühl, daß ihr noch etwas fehle.... Dieses Gefühl läßt sie jene Erquickung nicht vollkommen genießen, da sie noch immer einen Feind in ihrem Innern wahrnimmt; zwar ist er jetzt beruhigt und schläft, aber sie fürchtet doch, er könnte sich erheben und sein Werk fortsetzen. Und das ist auch wirklich so: wenn die Seele ganz sicher glaubt und nicht achtgibt, sucht er sie wieder zu verschlingen und in noch schwereres, dunkleres und schmerzlicheres Leid hinabzustürzen als früher....“ Und wieder glaubt sie, die vorangegangene Glückesfülle sei verloren für immer, weil der „gegenwärtige Inhalt des Geistes .... völlig zunichte macht, was ihm entgegengesetzt

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Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 112. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/112&oldid=- (Version vom 3.8.2020)