Seite:Edith Stein - Kreuzeswissenschaft.pdf/113

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Passive Nacht des Geistes

ist“. Aus diesem Grunde haben auch die Seelen im Fegfeuer Zweifel, ob ihre Leiden ein Ende nehmen werden. Sie sind zwar im Besitz der göttlichen Tugenden und nehmen wahr, daß sie Gott lieben, finden aber darin keinen Trost, „weil sie nicht glauben können, daß Gott sie liebe noch daß sie dessen würdig seien.... Und wenn auch die Seele in dieser Reinigung wahrnimmt, daß sie Gott liebe und tausend Leben für Ihn hingeben würde...., so verschafft ihr das keinen Trost, vielmehr noch größere Betrübnis. Sie liebt nämlich Gott so sehr, daß sie um sonst nichts besorgt ist.... Da sie sich aber so elend sieht, so kann sie nicht glauben, daß Gott sie liebe, noch daß Er Ursache habe oder haben werde, sie zu lieben; vielmehr ist sie überzeugt, daß sie mit vollem Recht nicht bloß von Ihm, sondern auch von allen Geschöpfen stets verabscheut werde, und voll Schmerz sieht sie in sich die Ursache, wodurch sie es verdient, von Dem verworfen zu werden, den sie so sehr liebt und nach dem sie so großes Verlangen trägt“[1].

Die Hemmung der Kräfte in diesem peinlichen Zustand führt auch dazu, daß die Seele nicht mehr wie früher ihr Herz und Gemüt im Gebet zu Gott erheben kann. Betet sie, „so geschieht es in solcher Trockenheit, so ohne Saft und Kraft, daß sie sich des Eindruckes nicht erwehren kann, Gott höre nicht auf sie und kümmere sich nicht um ihr Gebet.... Und es ist in der Tat jetzt nicht an der Zeit, mit Gott im Gebet zu reden, sondern .... den Mund in den Staub zu drücken.... und diese Läuterung mit Geduld zu ertragen. Denn Gott ist es, der hier in der Seele das Werk vollbringt; darum vermag sie nichts...., weder zu beten, noch den gottesdienstlichen Handlungen mit Aufmerksamkeit beizuwohnen, noch viel weniger anderen Dingen und zeitlichen Angelegenheiten Aufmerksamkeit zu schenken; nicht nur das – sie leidet oft an so großer Geistesabwesenheit und so tiefem Vergessen, daß viele Stunden vorübergehen, ohne daß sie weiß, was sie getan oder gedacht hat, noch was sie jetzt tut oder tun will....“ Das liegt daran, daß auch das Gedächtnis von allen Gedanken und Erkenntnissen gereinigt werden muß. Die Geistesabwesenheit und Kälte aber kommt von der tiefen inneren Sammlung, in der die Beschauung die Seele mit allen ihren Vermögen gleichsam aufzehrt, um sie von allen Neigungen zu den Geschöpfen und allen Vorstellungen von Geschaffenem abzuziehen. Das dauert je nach dem Grade der Beschauung länger oder kürzer. Je reiner und lauterer das göttliche Licht in die Seele fällt, desto mehr verdunkelt, entleert und vernichtet es sie. „Und wenn die


  1. a. a. O. § 3 Kap. 7, E. Cr. II 66 ff.
Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 113. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/113&oldid=- (Version vom 3.8.2020)