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Tod und Auferstehung

Seele so entleert und im Dunkel ist, reinigt und erleuchtet sie“ der göttliche Lichtstrahl der Beschauung, ohne daß sie etwas von Empfangen des göttlichen Lichtes merkt. Sie bleibt vielmehr im Dunkel, wie der Sonnenstrahl, „wenn er rein ist und keinen Gegenstand findet, an dem er abprallt, unsichtbar bleibt, auch wenn er mitten ins Zimmer sein Licht wirft. Findet aber dieses geistige Licht, vom dem die Seele durchdrungen ist, etwas, auf das er stößt, wie etwa die geistige Erkenntnis der Vollkommenheit .... oder ein Urteil darüber, sei es falsch oder wahr, so sieht man es gleich und erkennt es viel deutlicher als vor dem Eintritt in diese Dunkelheit. Und mit derselben Deutlichkeit nimmt die geistliche Seele das Licht wahr, um mit Leichtigkeit eine auftretende Unvollkommenheit zu erkennen....“ „Weil .... dieses geistige Licht so einfach, rein und allgemein ist und auf keine Einzelerkenntnis .... sich erstreckt, .... kommt es, daß die Seele alles Höhere und Niedere, was sich ihr darbietet, durchdringt....: ,Der Geist erfaßt alles, auch die Tiefen der Gottheit’ (1 Cor. 2,10) und ,Die Weisheit .... dringt überallhin kraft ihrer Reinheit‘ (Sap. 7,24), d.h. weil sie sich nicht auf eine Einzelerkenntnis und Einzelneigung einschränkt. Und das ist dem gereinigten und bezüglich aller Einzelneigungen und Einzelerkenntnisse zunichtegemachten Geist eigen, nichts Einzelnes zu genießen und zu erkennen, sondern in Leere, in Dunkel und Finsternis bleibt er, und dabei umfaßt er alles mit großer Bereitschaft....“[1]

So bezweckt die beseligende Nacht durch die Verfinsterung des Geistes nichts anderes, „als ihn bezüglich aller Dinge zu erleuchten“, sie versetzt ihn „nur darum in Niedrigkeit und Elend, um ihn zu erheben und aufzurichten, .... nur darum beraubt und entleert sie ihn jedes Besitzes und jeder natürlichen Neigung, damit er nach Gottes Weise sich zum Kosten und Genießen aller irdischen und himmlischen Dinge ausdehnen kann, in allumfassender Freiheit des Geistes“. Weil der natürliche Verstand das göttliche Licht nicht zu fassen vermag, muß er durch die Beschauung ins Dunkel geführt werden. „Dieses Dunkel muß solange bleiben, als es die Entfernung der seit langem eingewurzelten Geisteshaltung im Erkennen .... erfordert....“ Die Zerstörung der natürlichen Erkenntniskraft ist tief, schrecklich und überaus schmerzlich. „Man fühlt sie nämlich im innersten Wesen des Geistes, und so scheint es eine das Wesen angreifende Finsternis zu sein“. Auch der Wille muß gereinigt und zunichte gemacht werden, um durch die Liebesvereinigung zu jener ganz reinen, göttlichen, geistigen und erhabenen Liebe zu gelangen,


  1. a. a. O. § 4 Kap. 8, E. Cr. II 71 ff.
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Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 114. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/114&oldid=- (Version vom 3.8.2020)