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Tod und Auferstehung

„kein Friede, obwohl er der Seele .... als doppelter Friede erschien“. Sie hatte sich nämlich schon den Frieden der sinnlichen und geistigen Erkenntnis erworben und sah sich mit Sinnen und Geist von der Fülle dieses Friedens umgeben. Aber er muß erst in der Seele einer Läuterung unterzogen werden. Sie muß ihn aufgeben und zerstören und die Erfüllung des Wortes erleben: „Verlassen und herausgeworfen ist aus dem Frieden meine Seele“ (Thren. 3,17). Die Seele erleidet dabei mancherlei Befürchtungen, Kämpfe und Einbildungen. Durch das Gefühl, für immer verloren zu sein, „entsteht im Innersten ihres Geistes ein so empfindlicher Schmerz und ein so tiefes Seufzen, daß es ein heftiges geistiges Aufschreien und Stöhnen verursacht; manchmal gibt es sich in Worten und Strömen von Tränen kund, wenn die dazu nötige Kraft und Stärke vorhanden ist. Diese Erleichterung wird jedoch der Seele nur selten zuteil“. Wie überströmende Wasser wird „dieses Aufschreien und Schmerzgefühl der Seele so mächtig, daß es sie ganz überschwemmt und durchdringt und alle ihre innersten Neigungen und Kräfte über alles Maß mit geistigen Ängsten und Schmerzen erfüllt. Das sind die Wirkungen, welche diese Nacht durch Verhüllung aller Hoffnung auf das Licht des Tages in der Seele hervorruft“. Der Wille wird gleichsam durchbohrt von diesen Schmerzen, Zweifeln und Befürchtungen, die kein Ende nehmen wollen. „Tiefgehend ist dieser Streit und Kampf, weil auch der erhoffte Friede ein ganz tiefer sein muß; und der geistige Schmerz ist innerlich fein und entblößt, weil auch die Liebe, die man sich erwerben soll, ganz innerlich und entblößt sein muß. Je innerlicher und feiner geschliffen ein Werk sein und bleiben muß, desto innerlicher, sorgfältiger und sauberer muß die Arbeit sein.... Weil nun die Seele im Stande der Vollkommenheit, dem sie durch diese Nacht zuwandelt, unzählige Schätze an Gaben und Tugenden besitzen und genießen soll“, muß sie sich zuerst entblößt, „leer und arm an ihnen sehen und fühlen....; ja sie müssen ihr so fernliegend erscheinen, daß sie gar nicht glauben kann, jemals in ihren Besitz gelangen zu können....“[1]


Entbrennen in Liebe und Umgestaltung

In den Todesängsten der Geistesnacht sind die Unvollkommenheiten der Seele ausgeglüht worden, so wie Holz im Feuer von aller Feuchtigkeit befreit wird, um dann selbst im Glanz des Feuers erglühen


  1. a. a. O. § 5 Kap. 9, E. Cr. II 75 ff.
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Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 116. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/116&oldid=- (Version vom 3.8.2020)