Seite:Edith Stein - Kreuzeswissenschaft.pdf/117

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Passive Nacht des Geistes

zu können. Das Feuer, das die Seele erst rein glühte und dann entflammte, ist die Liebe. So hat sich erfüllt, was der 2. Vers des Nacht-Gesangs verkündete: daß „Liebessehnen zehrend sie entflammte“. Es ist eine leidenschaftliche Liebe, zu der sie entflammt wird, aber es ist ein Entbrennen im Geist und von dem, das im sinnlichen Teil entfacht wird, so verschieden wie der geistige vom sinnlichen Teil. Es ist eine eingegossene Liebe und äußert sich mehr im Erleiden als im Handeln. Sie „hat schon etwas von der Vereinigung mit Gott an sich, und deshalb nimmt sie auch in etwas teil an deren Eigenschaften“; d.h. in der Seele sind nun „mehr Tätigkeiten Gottes als der Seele selbst, sie wohnen ihr in passiver Weise inne, die Seele gibt nur ihre Zustimmung. Aber die Wärme und Kraft, die Stimmung und Leidenschaft der Liebe oder die Entflammung .... verursacht allein die Liebe Gottes, die sich mit ihr vereinigt“. Durch die dunkle Reinigung ist die Seele auf wunderbare Weise für die Vereinigung zubereitet worden. In diesem Zustand „muß die Seele lieben mit der ganzen Macht aller ihrer Kräfte und geistigen und sinnlichen Neigungen“. Es ist eine gewaltige Liebesglut, weil „Gott alle Kräfte, Vermögen und Neigungen der Seele, die geistigen wie die sinnlichen, gefesselt hält, damit alle ihre Kräfte und Fähigkeiten in vollkommener Harmonie sich mit dieser Liebe beschäftigen und so im vollen Sinn des Wortes dem ersten Gebot Genüge leisten.... (5 Mos. 5, 6)“. Wenn die Seele sich so von der Liebe entflammt und verwundet fühlt und doch immer noch in Finsternis und Zweifeln ist, ohne den glücklichen Besitz der Liebe, dann erwacht in ihr ein Sehnsuchtsdrang, der mit all ihren Begierden nach Gott verlangt. „.... In allen Dingen und Gedanken die sie in sich vorfindet, bei allen Sachen und Vorfällen, die sich ihr darbieten, wird sie in manigfacher Weise von Liebe und Sehnsucht erfüllt, leidet in ihrer Sehnsucht .... zu allen Zeiten und an allen Orten und findet in nichts Ruhe....“ „Alles wird der Seele zu enge, sie hält es bei sich selber nicht aus und findet weder im Himmel noch auf Erden eine Stätte, und sie ist von Schmerzen durchdrungen bis zur Finsternis...., d.h. sie leidet Schmerzen ohne Trost, auch ohne einer sicheren Hoffnung auf irgend ein Licht oder geistiges Gut....“ Ihr Sehnsuchtsdrang und ihre Pein wachsen beständig einerseits durch die geistige Finsternis, in die sie sich versetzt sieht, andererseits durch die Gottesliebe, die sie entflammt. Und doch fühlt sie mitten in dieser Qual eine Kraft in sich, die schwindet, sobald die Last der Finsternis von ihr weicht. Das kommt daher, daß diese Kraft der Seele „ohne ihr Zutun von dem dunklen Feuer der Liebe, das sie befallen hat, verzehrt wird. Wenn nun diese Liebesglut ein

Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 117. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/117&oldid=- (Version vom 3.8.2020)