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Passive Nacht des Geistes

wie das Feuer Licht und Wärme, kann es wohl sein, daß dieses liebeglühende Licht .... einmal mehr den Willen trifft und mit Liebe entflammt, den Verstand dagegen in Dunkelheit läßt...., ein andermal den Verstand mit Liebe erfüllt...., während der Wille in Trockenheit bleibt....: das wirkt der Herr, der sich mitteilt, wie Er will“[1]. Er ist ja nicht an die Gesetze des natürlichen Seelenlebens gebunden. Danach kann man allerdings „unmöglich einen Gegenstand lieben, den man nicht zuvor erkannt hat. Aber auf übernatürlichem Wege kann Gott gar wohl der Seele die Liebe eingießen und sie vermehren, ohne ihr bestimmte Erkenntnisse zu verleihen oder sie zu vermehren... Das ist die Erfahrung vieler Geistesmenschen....“ Manche „sind in der Erkenntnis Gottes nicht sehr weit fortgeschritten, doch um so mehr im Willen gefördert. Statt der Wissenschaft des Verstandes genügt ihnen der Glaube, durch den Gott die Liebe eingießt und wachsen läßt, ohne daß die Erkenntnis zunimmt“[2]. Das Letzte darf natürlich nicht so verstanden werden, als ob der Glaube allgemein nur Liebe erwecke, ohne Erkenntnis zu verleihen. Im Gegenteil: an sich wendet er sich ja in erster Linie an den Verstand und erschließt ihm die göttliche Wahrheit. Aber einmal geschieht das in verhüllter Form, nicht in der Weise der natürlichen Erkenntnis. Sodann braucht er nicht immer bestimmte einzelne Wahrheiten vor Augen zu stellen. Glauben kann ja auch heißen: sich dem Wirklichen zuwenden, von dem alle Glaubenswahrheiten künden: Gott; und zwar so zuwenden, daß man Ihn nicht im Licht irgend einer einzelnen Glaubenswahrheit betrachtet, sondern Ihm, dem Unfaßlichen, der den Inbegriff aller Glaubenswahrheiten in sich schließt und doch über sie alle hinaus ist, in Seiner Unfaßlichkeit, in Dunkel und Unbestimmtheit hingegeben ist. Erfährt in diesem Hingegebensein die Seele das Ergriffensein von dem dunklen und unfaßlichen Gott, dann ist es die dunkle Beschauung, die Gott selbst der Seele mitteilt, als Licht und Liebe zugleich; sie ist „dunkel und unbestimmt für den Verstand.... Und wie diese Erkenntnis die Gott ihm eingießt, im Verstand allgemein und dunkel ist, so liebt auch der Wille in allgemeiner Weise, ohne ein besonderes erkanntes Einzelding zu unterscheiden“.

Manchmal aber teilt sich „Gott in dieser zarten Mitteilung .... mehr in einem Vermögen mit als im andern; .... oft ist allein die Erkenntnis bemerkbar und nicht die Liebe, ein andermal nur die Liebe und nicht die Erkenntnis.... Denn Gott kann auf eine


  1. a. a. O. § 2 Kap. 12, E. Cr. II 88 ff.
  2. Geistlicher Gesang, Erklärung zu Str. 26 V. 2, E. Cr. II 299.
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Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 119. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/119&oldid=- (Version vom 7.1.2019)