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Passive Nacht des Geistes

Wirkung, nämlich die feste Überzeugung, daß sie weit schlechter sei als alle andern Seelen....; weil die Liebe sie immer mehr zu der Einsicht bringt, was sie Gott schuldig ist, und .... weil sie die vielen Werke, die sie in diesem Stande für Gott vollbringt, als fehlerhaft und unvollkommen erkennt, werden ihr alle nur Anlaß zu Beschämung und Pein, denn sie erkennt, auf wie niedrige Weise sie für einen so hohen Herrn arbeitet.... Die vierte Sprosse .... verursacht in der Seele ein beständig andauerndes Leiden um des Geliebten willen“. Die Liebe läßt ihr „alles Große und Schwere und Lästige wie nichts vorkommen.... Der Geist gewinnt hier so an Kraft, daß er das Fleisch in voller Unterwürfigkeit erhält und es für so gering achtet wie der Baum eines seiner Blätter. Die Seele sucht hier in keiner Weise Trost und Genuß, weder in Gott noch anderswo, und hat weder einen Wunsch noch ein Verlangen, sich von Gott Gnaden zu erbitten, weil sie klar einsieht, daß sie schon im Überfluß empfangen hat; ihre ganze Sorgfalt geht dahin, Gott zu gefallen und Ihm wenigstens in etwas zu dienen, wie Er es würdig ist und wie sie es Ihm schuldet für das, was sie von Ihm empfangen hat; obgleich auch das wieder auf Seine Kosten geht.... Sehr erhaben ist diese Stufe der Liebe. Da nämlich die Seele in diesem Stande beständig in aufrichtiger Liebe und mit dem Verlangen für Ihn zu leiden, zu Gott hingezogen wird, so verleiht ihr Seine Majestät sehr oft .... den Genuß eines freude- und wonnevollen Besuches im Geiste. Denn die unendliche Liebe des Wortes, Jesu Christi, kann die Ihn liebende Seele nicht leiden lassen, ohne ihr zu Hilfe zu kommen.... Die fünfte Sprosse .... verursacht in der Seele ein ungeduldiges Streben und Verlangen nach Gott. Auf dieser Stufe ist die Sehnsucht der liebenden Seele nach dem Besitz des Geliebten und nach der Vereinigung mit Ihm so heftig, daß sie jede, auch die kleinste Verzögerung für äußerst lang, lästig und beschwerlich hält und nur in dem Gedanken lebt, wie sie den Geliebten finden könne.... Auf dieser Sprosse muß die liebende Seele entweder in den Besitz des Geliebten gelangen oder sterben....“[1] „Die sechste Sprosse bewirkt, daß die Seele schnell Gott entgegeneilt und Seine Nähe oft fühlbar wahrnimmt. Ohne müde zu werden, eilt sie Ihm in der Hoffnung entgegen, denn durch die Liebe gekräftigt, kann sie in leichtem Fluge voran....“ Die Behendigkeit, die der Seele hier zuteil


  1. a. a. O. § 3 Kap. 19, E. Cr. II 112 ff.
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Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 127. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/127&oldid=- (Version vom 7.1.2019)