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Tod und Auferstehung

wird, kommt daher, daß sie sich sehr erweitert hat und daß ihre Reinigung von allen Dingen fast vollzogen ist. So gelangt sie bald zur siebenten Sprosse. Hier wird „die Seele überaus beherzt. Auf dieser Stufe läßt sich die Liebe nicht mehr vom Verstand zum Warten bestimmen; sie nimmt auch keinen Rat mehr an, sich zurückzuziehen, noch kann sie durch Beschauung zurückgehalten werden.... Solche Seelen erlangen von Gott, um was sie Ihn in ihrer Herzensfreude bitten.... Aus der Kühnheit und Freiheit, die Gott der Seele auf der siebenten Sprosse verliehen hatte um mit der ganzen Kraft der Liebe ohne Furcht mit Gott zu verkehren, folgt die achte, die der Seele den Besitz des Geliebten und die Vereinigung mit Ihm verschafft....: ,Ich habe Ihn gefunden, den meine Seele lieb hat; ich halte Ihn fest und will Ihn nicht mehr loslassen’ (Cant. 4, 3)“. „Auf dieser Stufe der Vereinigung wird die Sehnsucht der Seele gestillt, aber mit Unterbrechung; manche Seelen gelangen zwar für kurze Zeit zur Vereinigung, aber alsbald werden sie wieder abgezogen; denn .... könnten sie auf dieser Stufe länger verweilen, so gelangten sie schon in diesem Leben zu einer gewissen Art von Glorie.... Die neunte Sprosse .... ist .... die Stufe der Vollkommenen, die schon in süßer Liebe zu Gott entbrennen. Dieses süße und wonnevolle Entbrennen der Liebe bewirkt der Heilige Geist kraft der Vereinigung, in der sie mit Gott verbunden sind.... Die Gnadenschätze und Reichtümer Gottes, zu deren Genuß die Seele auf dieser Sprosse erhoben wird, können nicht mit Worten ausgedrückt werden. Würde man auch viele Bücher darüber schreiben, so bleibe doch das meiste noch zu sagen“. Die zehnte und letzte Sprosse der verborgenen Leiter der Liebe gehört schon nicht mehr diesem Leben an. Sie „macht die Seele Gott vollkommen ähnlich kraft der klaren Anschauung Gottes, in deren Besitz sie sogleich und unmittelbar gelangt, wenn sie den Leib verläßt, nachdem sie in diesem Leben auf der neunten Sprosse angekommen war. Diese Seelen, deren Zahl nur gering ist, bleiben vom Fegfeuer verschont, da sie schon durch die Liebe vollkommen gereinigt sind. Darum heißt es bei Matthäus....: ,Selig, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott anschauen’ (Matth. 5,8). Diese Anschauung ist .... die Ursache der vollkommenen Ähnlichkeit mit Gott.... Nicht weil die Seele alles so umfaßt wie Gott, denn das ist unmöglich; sondern weil alles, was die Seele ist, Gott ähnlich sein wird. Deshalb wird man sie nennen und wird sie sein: göttlich durch Teilnahme.... Auf dieser obersten Stufe der klaren Anschauung, der letzten Sprosse der Leiter, .... gibt es für die Seele wegen ihrer vollen Ähnlichkeit mit Gott nichts Verhülltes mehr.... Aber bis zu jenem Tage bleibt der Seele, wenn

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Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 128. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/128&oldid=- (Version vom 7.1.2019)