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Passive Nacht des Geistes

sie auch noch so weit vorwärts schreitet, immer noch so viel verhüllt, wie ihr von der vollen Ähnlichkeit mit Gottes Wesen mangelt. Auf diese Weise erhebt sich die Seele durch die mystische Gottes Weisheit und diese geheimnisvolle Liebe über alle Dinge und über sich selbst und steigt empor zu Gott. Denn die Liebe gleicht dem Feuer, das immer nach oben züngelt mit dem Bestreben, sich in das Zentrum seiner Sphäre einzusenken“[1].


Das dreifarbige Kleid der Seele

Die Seele hat gesagt, daß sie auf der geheimen Leiter vermummt oder verkleidet entwichen sei. Sich verkleiden, d.h. sein eigenes Kleid und seine eigene Gestalt unter einer andern verbergen, das tut man, um „jemandem, den man liebt, in dieser Gestalt und in diesem Kleide seine Liebe und Zuneigung nach außen zu offenbaren und sich dadurch seine Gunst und sein Wohlgefallen zu erwerben, oder aber vor seinen Widersachern sich zu verbergen, um so sein Vorhaben besser ausführen zu können.... Die Seele nun, die .... von Liebe zu Christus, ihrem Bräutigam, entzündet ist, .... hüllt sich bei ihrem Entweichen in jene Kleidung, welche die Neigungen ihres Geistes am deutlichsten zum Ausdruck bringen kann und in denen sie ihren Widersachern .... gegenüber, dem Teufel, der Welt und dem Fleisch, am sichersten wandeln kann“. Darum hat ihre Kleidung drei Hauptfarben: weiß, grün und rot als Sinnbilder der drei göttlichen Tugenden. Durch sie erwirbt sich die Seele das Wohlgefallen ihres Geliebten und wandelt darin zugleich völlig gesichert vor ihren drei Feinden. „Denn der Glaube ist ein weißes Unterkleid von so blendendem Glanz, daß er das Sehvermögen eines jeden Verstandes zunichtemacht. Wandelt also die Seele im Gewände des Glaubens, so sieht sie weder der Teufel noch wagt er, sie anzufallen....“ Es gibt aber auch kein besseres Gewand als das blendend weiße des Glaubens, die Grundlage für die übrigen Tugenden, um sich das Wohlgefallen des Geliebten und die Vereinigung mit Ihm zu erwerben. „Diesen blendend weißen Glanz des Glaubens trägt die Seele bei ihrem Entweichen“, wenn sie in den Finsternissen und inneren Bedrängnissen der dunklen Nacht wandelt. Sie wird durch keine natürliche Erkenntnis mehr befriedigt und auch durch keine übernatürliche Erleuchtung erquickt, da ihr der Himmel verschlossen scheint; „sie aber duldet standhaft und harrt aus und wandelt durch


  1. a. a. O. § 4 Kap. 20, E. Cr. II 116 ff.
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Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 129. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/129&oldid=- (Version vom 7.1.2019)