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Tod und Auferstehung

die belebende Form des Leibes Inneres eines Äußeren, sondern es gibt in ihr selbst den Gegensatz von Innerem und Äußerem[1]. In ihrem Innersten, im Wesen oder tiefsten Grund der Seele, ist sie eigentlich zu Hause. Mit der natürlichen Tätigkeit ihrer Kräfte geht sie aus sich heraus zur Begegnung mit der äußeren Welt, in einer rein sinnlichen Betätigung sogar unter sich hinab. Das, wozu sie hinausgeht, nimmt sie in sich hinein und wird davon eingenommen. Es bestimmt sie in ihrem Tun und Lassen und beschränkt in einem gewissen Sinn ihre Freiheit. In ihr Innerstes kann es nicht eindringen, aber es kann sie selbst von ihrem Innersten entfernt halten.

In ihrem Aufstieg zu Gott erhebt sich die Seele über sich selbst oder wird über sich selbst erhoben. Und doch gelangt sie damit erst recht eigentlich in ihr Innerstes hinein. Das klingt widerspruchsvoll, entspricht aber der Sachlage und ist begründet in dem Verhältnis, in dem das Reich des Geistes zu Gott steht.

Gott ist reiner Geist und Urbild alles geistigen Seins[2]. Darum kann eigentlich nur von Gott aus recht verstanden werden, was Geist ist, d.h. aber, daß es ein Geheimnis ist, das uns beständig anzieht, weil es das Geheimnis unseres eigenen Seins ist. Wir haben einen gewissen Zugang dahin, sofern unser eigenes Sein geistiges Sein ist. Wir haben auch Zugänge dahin von allem Sein aus, sofern alles Sein als sinnvolles und geistig faßbares etwas von geistigem Sein hat. Aber es entschleiert sich tiefer im Maße unserer Gotteserkenntnis, ohne sich jemals ganz zu entschleiern, d.h. ohne daß es aufhörte, Geheimnis zu sein.

Gottes Geist ist für sich selbst völlig durchsichtig, kann über sich selbst völlig frei verfügen (in jener Uneingeschränktheit, die das Durch-sich-selbst-Sein einschließt), geht völlig frei aus sich heraus und bleibt doch in sich selbst. Er stellt alles andere Sein aus sich heraus, umfaßt es, durchdringt und beherrscht es. Geschaffener Geist ist beschränktes Abbild Gottes (in allen genannten Zügen): als Abbild gottähnlich, als beschränkt Gottes Widerspiel; ist mehr oder minder weitgehende Aufnahmefähigkeit für Gott, in der höchsten Form Möglichkeit zur Vereinigung mit Gott in wechselseitiger freipersönlicher Hingabe.


  1. Es ist hier daran zu erinnern, daß es sich bei diesen Scheidungen um ein räumliches Bild für etwas Unräumliches handelt. Im eigentlichen Sinn besteht die Seele „nicht aus Teilen, und es gibt bei ihr keinen Unterschied zwischen Innen und Außen....“ (Lebendige Liebesflamme, Str. 1 V. 3, Obras IV 12 f.)
  2. Was hier über geistiges Sein nur in einigen Worten angedeutet werden kann, ist ausführlich dargelegt in Endliches und Ewiges Sein. Versuch eines Aufstiegs zum Sinn des Seins, Edith Steins Werke, Bd. II.
Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 136. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/136&oldid=- (Version vom 7.1.2019)