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Tod und Auferstehung

nichts aus dem Bereich der natürlichen Erfahrung angemessen [da]rgestellt werden kann.

Gott ist im Innersten der Seele, und nichts, was in ihr ist, ist vor Ihm verborgen. Doch kein geschaffener Geist vermag von sich aus in diesen verschlossenen Garten einzutreten oder mit seinem Blick dahin zu dringen. Die geschaffenen Geister – das sind die guten und die bösen Geister (die man auch reine Geister nennt, weil sie keinen Leib haben) und die Menschenseelen. Über den Verkehr der Menschenseelen miteinander ist bei Johannes wenig zu finden. Es ist eigentlich nur ein menschliches Verhältnis, auf das er häufig zurückkommt: das der geistlichen Seele zu ihrem Führer. Aber es ist ihm nicht darum zu tun, auf welchen Erkenntniswegen sich die Verständigung herstellt. Nur einmal bemerkt er, daß Menschen, denen die Unterscheidung der Geister als Gnadengabe verliehen ist, auf geringe äußere Kennzeichen hin erkennen können, wie es um andere innerlich bestellt ist[1]. Das weist auf den normalen Erkenntnisweg hin, der zu fremdem Seelenleben führt: er geht über die sinnenfälligen Äußerungen des seelischen Lebens und führt so weit nach innen, wie das Innere sich aufschließt. Denn alles äußere Aus-sich-Herausgehen in leiblichen Ausdruckserscheinungen, in Empfindungslauten und Worten, in Taten und Werken, hat ein inneres Aus-sich-Herausgehen – sei es ein willkürliches oder unwillkürliches, bewußtes oder unbewußtes – zur Voraussetzung. Wenn es aus dem Innersten kommt, wird auch etwas vom Innersten darin aufleuchten. Aber das wird nichts scharf Umrissenes, nichts sicher und bestimmt Faßbares sein, solange man auf den rein natürlichen Weg angewiesen ist und nicht durch außerordentliche göttliche Erleuchtung geleitet wird; es wird vielmehr etwas Geheimnisvolles bleiben. Und wenn das Innere verschlossen ist, wird kein Menschenblick aus eigener Kraft hineindringen. Die Seele steht nicht nur mit ihresgleichen in Verbindung, sondern auch mit geschaffenen reinen Geistern, guten und bösen. Mit dem Areopagiten nimmt Johannes an, daß den Menschen göttliche Erleuchtung durch Vermittlung der Engel zuteil wird; allerdings gilt ihm das Herabsteigen der Gnade über die Stufen der Himmlischen Hierarchie nicht als der einzig mögliche Weg. Er kennt eine unmittelbare Vereinigung Gottes mit der Seele, und die ist es, auf die es ihm eigentlich ankommt. Viel stärker als die Einwirkung der guten Engel berücksichtigt er die Nachstellungen des Teufels. Er sieht ihn beständig die Seelen umschleichen, um sie von ihrem Weg zu Gott abzulenken. Welche Verbindungsmöglichkeiten


  1. Aufstieg, B. II Kap. 24, E. Cr. I 241.
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Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 138. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/138&oldid=- (Version vom 7.1.2019)