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Tod und Auferstehung

dem Wege zu sich selbst, auch wenn er es nicht weiß. Aber er hat sich selbst noch nicht so in der Hand, wie man sich erst in der letzten Tiefe in die Hand bekommt; er kann darum über sich selbst nicht voll verfügen und hat auch den Sachen gegenüber nicht die vollkommen freie Entscheidung. Wer grundsätzlich das Rechte sucht, d.h. wer gewillt ist, es immer und überall zu tun, der hat über sich selbst entschieden und seinen Willen hineingestellt in den göttlichen Willen, auch wenn ihm noch nicht klar ist, daß das Rechte zusammenfällt mit dem, was Gott will. Aber wenn ihm das nicht klar ist, so fehlt ihm noch der sichere Weg, um das Rechte zu finden; und er hat über sich verfügt, als hätte er sich schon in der Hand, obwohl ihm die letzten Tiefen des eigenen Innern noch nicht aufgegangen sind. Die letzte Entscheidung wird erst Auge in Auge mit Gott möglich. Wenn aber jemand im Glaubensleben so weit gekommen ist, daß er sich ganz für Gott entschieden hat und nichts mehr will, als was Gott will, ist er dann nicht im Innersten angekommen und besteht dann noch ein Unterschied zur höchsten Liebesvereinigung? Es ist sehr schwer, hier die Grenzlinie zu ziehen, auch sehr schwer zu erkennen, wie der hl. Vater Johannes sie zieht; und doch scheint es mir – sachlich und in seinem Sinne – notwendig, eine Grenzlinie anzuerkennen und zur Abhebung zu bringen. Wer wirklich nichts anders mehr will, als Gott will, in blindem Glauben, der hat die höchste Stufe erreicht, die der Mensch mit Gottes Gnade erringen kann: sein Wille ist völlig gereinigt und frei von aller Bindung durch irdische Antriebe, er ist durch freie Hingabe mit dem göttlichen Willen geeint. Und doch fehlt noch etwas Entscheidendes zur höchsten Liebesvereinigung, der mystischen Vermählung.


Die verschiedenen Arten der Vereinigung mit Gott

Wir müssen hier daran erinnern, daß Johannes drei Arten der Vereinigung mit Gott unterschieden hat[1]: durch die erste wohnt Gott wesenhaft in allen geschaffenen Dingen und erhält sie dadurch im Sein; unter der zweiten ist das gnadenhafte Innewohnen in der Seele zu verstehen, unter der dritten die umgestaltende, vergöttlichende Vereinigung durch die vollkommene Liebe. Zwischen der zweiten und dritten Art möchte Johannes an der genannten Stelle nur einen Gradunterschied sehen. Wenn wir aber andere Stellen zu


  1. Aufstieg, B. II Kap. 4, E. Cr. I 111 ff. Dabei ist nur an dieses Leben gedacht, nicht an die Vereinigung in der Glorie, die immer noch davon unterschieden wird.
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Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 148. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/148&oldid=- (Version vom 7.1.2019)