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Die Seele im Reich des Geistes und der Geister

daß Gott in seinem Innersten lebt und daß er Ihn dort finden kann; daß all sein Gnaden- und Tugendleben Auswirkung dieses gött­lichen Lebens in ihm und sein Anteil daran ist. Lebendiger Glaube ist feste Überzeugung, daß Gott ist, Für-wahr-Halten alles dessen, was Gott geoffenbart hat, und liebende Bereitschaft, sich vom gött­lichen Willen leiten zu lassen. Als von Gott eingegossene, übernatür­liche Erkenntnis Gottes ist er ein „Anfang des ewigen Lebens in uns“[1] – aber nur ein Anfang. Durch die heiligmachende Gnade ist er als ein Samenkorn in uns gelegt; es soll unter unserer sorgsamen Pflege aufsprießen zu einem großen Baum mit herrlichen Früchten. Er ist ja der Weg, der uns schon in diesem Leben zur Vereinigung mit Gott führen soll, wenn auch die höchste Vollendung erst dem andern Leben angehört. Nun stehen wir vor der großen Aufgabe festzustellen, wodurch sich die Liebesvereinigung von dem gnaden­haften Innewohnen unterscheidet. An diesem Punkte gehen die Dar­stellung der hl. Mutter Teresia und die des hl. Vaters Johannes aus­einander.

Die heilige Mutter meint im Gebet der Vereinigung die erste Art des Innewohnens erfaßt zu haben, das vom gnadenhaften Innewoh­nen unterschieden ist, während nach dem Aufstieg die Vereinigung durch die Liebe als ein höherer Grad der gnadenhaften Vereinigung in Anspruch zu nehmen ist. Übrigens kennt auch die Heilige eine Vereinigung mit Gott, die rein durch unermüdliches Mitwirken der Gnade zu erreichen ist, durch Abtötung der Natur und vollkom­mene Übung der Gottes- und Nächstenliebe. Sie betont das mit al­lem Nachdruck zum Trost derer, die nicht zu dem gelangen, was man Gebet der Vereinigung nennt[2]. Aber vorher hat sie mit eben­so großem Nachdruck und mit aller wünschenswerten Klarheit dargelegt, daß das Gebet der Vereinigung keineswegs durch eigenes Bemühen zu erlangen ist[3]. Es ist ein Hingerissenwerden der Seele durch Gott, das sie für die Dinge der Welt ganz empfindungslos macht, während sie für Gott ganz wach ist. Sie ist „wie von Sin­nen“, sodaß sie an nichts denken kann. „....Hier liebt sie nur, weiß aber .... nicht einmal, wie sie liebt, noch, was das ist, was sie liebt.... Der Verstand möchte sich mit voller Hingabe damit be­schäftigen, etwas von den Empfindungen der Seele zu begreifen; da aber seine Kräfte dies nicht vermögen, ist er von Staunen so hinge­rissen, daß er weder Hand noch Fuß bewegt....“ Dabei wirkt Gott in der Seele, „ohne von jemand, ja ohne von uns selbst gehindert


  1. Quaestiones disputatae de veritate, q 19 a 2 c., Edith Steins Werke, Bd. IV.
  2. Vgl. Seelenburg, 5. Wohnung 3. Hauptstück (a. a. O. S. 103 ff.).
  3. Seelenburg, 5. Wohnung 1. und 2. Hauptstück (a. a. O. S. 85 ff.).
Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 151. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/151&oldid=- (Version vom 7.1.2019)