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Tod und Auferstehung

zu werden“. Und was Er darin wirkt, übersteigt alle Freuden und alle Ergötzungen und alle Beseligung der Erde“. Dieser Zustand dauert nur kurze Zeit (kaum mehr als eine halbe Stunde). Aber die Art, wie Gott dabei in der Seele verweilt, ist derart, „daß sie, wenn sie wieder zu sich kommt, durchaus nicht daran zweifeln kann, sie sei in Gott und Gott in ihr gewesen. An dieser Wahrheit hält sie mit solcher Sicherheit fest, daß sie sie nie vergißt und nie daran zweifeln kann, auch wenn ihr Gott diese Gnade jahrelang nicht wieder erweist. Und dies geschieht ganz abgesehen von den „Wirkungen, die in der Seele zurückbleiben“. Solange der geheimnisvolle Vorgang dauerte, hat sie Ihn nicht wahrgenommen. Aber nachher hat sie Seine Wirklichkeit sicher erkannt. Sie hat Ihn nicht klar geschaut, „aber es bleibt ihr davon eine Gewißheit, die Gott allein geben kann.“ Es handelt sich dabei um nichts Körperliches wie bei der unsichtbaren Gegenwart Christi im Allerheiligsten Sakrament. Es ist allein die Gottheit gegenwärtig. „Aber wie können wir eine solche Gewißheit über das haben, was wir nicht sehen? Daß weiß ich nicht, das sind Gottes Werke; aber ich weiß, daß ich die Wahrheit sage.... Es genügt uns zu wissen, daß der, von dem diese Gunstbezeugungen ausgehen, allmächtig ist. Soviel wir uns auch anstrengen mögen, wir sind doch in keiner Weise imstande, sie aus eigener Kraft zu erwerben; nur Gott kann sie geben. Darum wollen wir uns auch nicht bemühen, sie zu begreifen“.

Ohne es zu wollen, hat die heilige Mutter aber doch einige Deutungsversuche unternommen. Eine Deutung war es, wenn sie das Innewohnen Gottes, das sie mit so unumstößlicher Gewißheit erfuhr, als jenes Innewohnen auffaßte, das allen Geschöpfen gemeinsam ist. Eine Deutung liegt auch in der Bemerkung: „Wenn jemand diese Gewißheit nicht hat, so möchte ich nicht sagen, die ganze Seele sei mit Gott vereint gewesen, sondern nur irgendeine ihrer Fähigkeiten, oder sie sei mit einer anderen der vielen Arten von Gunstbezeugungen begnadigt worden, die Gott der Seele zu erweisen pflegt“. Bei der wahren Vereinigung sei Gott mit dem Wesen der Seele verbunden.

Für uns ist es überaus wertvoll, daß Teresia in aller Unbefangenheit beschreibt, was sie erfahren hat; unbekümmert um die Möglichkeit einer theoretischen Erklärung des Erfahrenen; unbekümmert auch um die Beurteilung, die ihre Darstellung finden mochte. Ihre treue Beschreibung kann uns vielleicht zu der Erkenntnis verhelfen, welche Art des Innewohnens hier vorliegt, und uns damit zugleich eine Beurteilung ihres eigenen Deutungsversuchs ermöglichen. Die Seele hat die Gewißheit, daß sie in Gott war und Gott in ihr.


Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 152. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/152&oldid=- (Version vom 7.1.2019)