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Die Seele im Reich des Geistes und der Geister

sind, und suchen die sachlichen Unterschiede jetzt noch etwas schärfer herauszuarbeiten.

Es ist derselbe Eine Gott in drei Personen, der in allen drei Weisen gegenwärtig ist, und Sein unwandelbares Sein ist in allen drei Weisen dasselbe. Und doch ist das Innewohnen verschieden, weil das, worin die eine und selbe, unveränderte Gottheit wohnt, jedesmal anders geartet ist: dadurch wird das Innewohnen selbst abgewandelt [1]. Die erste Art des Innewohnens – oder besser: der göttlichen Gegenwart, da es noch kein Innewohnen im eigentlichen Sinne ist erfordert von dem, worin Gott gegenwärtig ist, nichts anderes als das Unterworfensein unter Gottes Wissen und Macht sowie die Bedingtheit durch das göttliche Sein. Das alles ist allem Geschaffenen gemeinsam. Göttliches und geschöpfliches Sein bleiben dabei völlig getrennt; es besteht zwischen ihnen nur die Beziehung einseitiger Seinsabhängigkeit, die kein eigentliches Ineinander – eben darum kein eigentliches Innewohnen – bedeutet. Denn zum Innewohnen gehört auf beiden Seiten ein inneres Sein, d.h. ein Sein, das sich selbst innerlich umfaßt und anderes Sein in sich aufnehmen kann, sodaß ohne Aufhebung der Selbständigkeit des aufgenommenen und des aufnehmenden Seienden eine Einheit des Seins entsteht. Das ist nur bei geistigem Sein möglich: nur Geistiges ist in sich selbst und kann anderes – wiederum Geistiges – in sich aufnehmen. Nur das ist wahrhaftes Innewohnen. Das gnadenhafte Innewohnen ist schon etwas von der Art. Wer Gottes Sein, Wissen und Macht nicht ohne eigenes Wissen und Wollen unterworfen ist, sondern dazu Ja sagt, der nimmt Gott in sich auf, sein Sein wird vom göttlichen Sein durchdrungen. Aber diese Durchdringung ist keine vollständige. Sie geht nur soweit, wie die Aufnahmefähigkeit des Aufnehmenden es zuläßt. Um vollständig vom göttlichen Sein durchdrungen zu werden – darin besteht die vollkommene Liebesvereinigung –, muß die Seele gelöst sein von jeglichem andern Sein: leer von allen andern Geschöpfen und von sich selbst, wie der hl. Vater Johannes so eindringlich dargelegt hat. Liebe in ihrer höchsten Erfüllung ist das Einssein in freier wechselseitiger Hingabe: das ist das innertrinitarische göttliche Leben. Abzielen auf diese Erfüllung ist die aufstrebende, verlangende, geschöpfliche Liebe (amor, ἔρως) und die barmherzig sich herabneigende Liebe Gottes zu den Geschöpfen (caritas,


  1. Wenn bei einem und demselben geschöpflichen Seienden das Innewohnen sich abwandelt, so ist es in der Tat eine Abwandlung, nicht ein Hinzutreten der einen Art zur andern: wenn eine Seele die heiligmachende Gnade empfängt, so wohnt Gott nicht jetzt auf zwei verschiedene Weisen in der Seele, sondern Wesenhaftes und gnadenhaftes Innewohnen sind eins.
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Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 157. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/157&oldid=- (Version vom 7.1.2019)