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Tod und Auferstehung

ἀγάπη). Wo diese beiden sich begegnen, da kann sich die Vereinigung fortschreitend vollziehen: auf Kosten dessen, was ihr noch im Wege steht, und in dem Maße, in dem es verzehrt wird. Das geschieht, wie wir wissen, durch die Dunkle Nacht in aktiver und passiver Weise. Durch die selbsttätige Reinigung geht der menschliche Wille mehr und mehr in den göttlichen ein, aber so, daß der göttliche nicht als gegenwärtige Wirklichkeit gespürt, sondern im blinden Glauben angenommen wird. Hier ist in der Tat nur ein gradweiser Unterschied zwischen dem gnadenhaften Innewohnen und der Liebesvereinigung. In der leidend erfahrenen Läuterung durch das verzehrende göttliche Liebesfeuer dagegen durchdringt der göttliche Wille den menschlichen mehr und mehr, indem er sich zugleich als gegenwärtige Wirklichkeit spüren läßt. Und hier liegt meines Erachtens eine neue, nicht nur gradweise von der gnadenhaften unterschiedene Art des Innewohnens vor. Der Unterschied läßt sich klar machen im Anschluß an die Auslegung, die Augustinus von den Worten des Johannesevangeliums gibt: „Viele glaubten an Seinen Namen...., Jesus selbst aber vertraute sich ihnen nicht an....“[1]

Augustinus bezieht das auf die Katechumenen: sie bekennen sich schon gläubig zu Jesus Christus, aber Er schenkt sich ihnen noch nicht im Allerheiligsten Sakrament. Wir können es auch beziehen auf die beiden Arten des Innewohnens, deren Unterschied wir fassen wollen, und damit zugleich auf den Unterschied von Glauben und Beschauung. Das gnadenhafte Innewohnen verleiht die Tugend des Glaubens, d.h. die Kraft, als wirklich anzunehmen, was man nicht gegenwärtig wahrnimmt, und für wahr zu halten, was man nicht mit Vernunftgründen streng beweisen kann. Es ist etwa so wie bei einem Menschen, von dem man schon viel Gutes und Großes gehört hat; er hat einem auch schon Wohltaten erwiesen, Gaben gespendet; darum neigt man sich ihm in Liebe und Dankbarkeit zu und hat in steigendem Maß das Verlangen, ihn persönlich kennen zu lernen. Aber er hat sich dem Schützling noch nicht anvertraut: nicht in dem Mindestmaß, daß er ihm eine Zusammenkunft gewährt hätte; noch weniger hat er ihm sein Inneres eröffnet oder gar ihm sein Herz geschenkt. All das aber wird – wiederum in stufenweisem Aufstieg – dem Menschen von Gott zuteil durch die dritte Weise des Innewohnens, die der mystischen Erwählung: Gott gewährt ihm eine persönliche Begegnung durch eine Berührung im Innersten; Er eröffnet ihm Sein eigenes Inneres durch besondere Erleuchtungen


  1. „.... Multi crediderunt in nomine eius.... Ipse autem Jesus non credebat semetipsum eis....“ (Joan. 2, 23-24) Vgl. Aug. Tract. in Joan. 11-12, Migne, P. L. XXXV 1474 ff.
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Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 158. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/158&oldid=- (Version vom 7.1.2019)