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Tod und Auferstehung

zur Voraussetzung. Sie kann beim völlig Ungläubigen als Erweckung zum Glauben und als Vorbereitung für den Empfang der heiligmachenden Gnade geschenkt werden. Sie kann auch als Mittel dienen, um einen Ungläubigen zum Werkzeug für bestimmte Zwecke tauglich zu machen. Beides gilt auch noch für einzelne Erleuchtungen. Die Vereinigung dagegen als wechselseitige Hingabe kann nicht ohne Glauben und Liebe, d.h. nicht ohne die heiligmachende Gnade geschehen. Sollte sie bei einer Seele einsetzen, die nicht im Stand der Gnade wäre, so müßte mit ihrem Beginn zugleich auch die heiligmachende Gnade geschenkt werden und als deren Vorbedingung die vollkommene Reue. Diese Möglichkeiten bestätigen die grundsätzliche Verschiedenheit der gnadenhaften und der mystischen Einigung und der entsprechenden Weisen des Innewohnens. Es handelt sich um zwei verschiedene Stufenwege. Damit ist nicht ausgeschlossen, daß das Gnadenleben der mystischen Einigung den Weg bereiten kann.

Daß das Innerste der Seele grundsätzlich der Ort persönlicher Begegnung und Vereinigung ist, macht es verständlich – soweit bei göttlichen Geheimnissen von Verstehen geredet werden kann –, daß Gott sich das Innerste der Seele als Wohnstätte ausersehen hat. Wenn die Vereinigung das Ziel ist, zu dem die Seelen erschaffen sind, so muß ja von vornherein das Verhältnis bestehen, das diese Einigung möglich macht.

Es ist ebenso verständlich, daß dies Innerste der Seele zu freier Verfügung in die Hand gegeben ist, weil liebende Hingabe nur für ein freies Wesen möglich ist. Ist diese liebende Hingabe in der mystischen Vermählung auch von seiten der Seele noch etwas anderes als die unbedingte Hingabe ihres Willens an den göttlichen Willen? Offenbar ja. Es ist erkenntnismäßig etwas anderes: wenn Gott sich ihr in der mystischen Vermählung hingibt, dann lernt sie Gott in einer Weise kennen, wie sie Ihn vorher noch nicht gekannt hat und auf keinem andern Wege kennen lernen kann; sie hat auch ihre eigenen letzten Tiefen vorher nicht gekannt. Sie hat also noch gar nicht so wie jetzt gewußt, wem sie ihren Willen hingibt, was sie hingibt und welche Hingabe dieser göttliche Wille von ihr verlangen kann. Es ist willensmäßig etwas anderes: im Ziel, denn die Willenshingabe geht auf Einigung des eigenen Willens mit dem göttlichen Willen, nicht auf das Herz Gottes, nicht auf die göttlichen Personen; im Ausgangspunkt, denn erst jetzt ist der tiefste Quellpunkt erreicht, erst jetzt umfaßt der Wille sich selbst ganz, weil er die ganze Person von ihrer personalen Mitte her umfaßt; im Vollzug, denn in der bräutlichen Hingabe wird nicht bloß der eigene Wille

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Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 160. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/160&oldid=- (Version vom 7.1.2019)