Seite:Edith Stein - Kreuzeswissenschaft.pdf/161

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Die Seele im Reich des Geistes und der Geister

dem göttlichen unter- und eingeordnet: es wird die göttliche Hingabe entgegengenommen; darum ist die Hingabe der eigenen Person zugleich die kühnste Besitzergreifung, die alles menschliche Begreifen übersteigt. Johannes vom Kreuz bringt das sehr klar zum Ausdruck, wenn er sagt, die Seele könne Gott nun mehr geben, als sie selbst sei: sie gebe Gott in Gott sich selbst[1]. So sehr liegt denn seinsmäßig etwas anderes vor als bei der gnadenhaften Vereinigung: das tiefste Hineingezogenwerden in das göttliche Sein, das die Seele selbst vergöttlicht; ein Einswerden der Personen, das ihre Selbständigkeit nicht aufhebt, sondern gerade zur Voraussetzung hat; eine Durchdringung, die nur von dem Ineinandersein der göttlichen Personen übertroffen wird, worin sie ihr Urbild hat. Das ist die Vereinigung, die Johannes unverkennbar in allen seinen Schriften als Ziel vor Augen hat, wenn er auch das Wort öfters in anderm Sinn gebraucht und sie in ihrer Eigenart theoretisch nicht so scharf gegen die andern Arten abgegrenzt hat, wie es hier versucht wurde. Es ist schon vorgreifend gesagt worden: die mystische Vermählung ist Einigung mit dem dreifaltigen Gott. Solange Gott nur in Dunkel und Verborgenheit die Seele berührt, kann sie die persönliche Berührung nur als solche spüren, ohne mitwahrzunehmen, ob es eine Person ist, die sie berührt oder mehrere. Wenn sie aber in der vollkommenen Liebesvereinigung ganz hineingezogen wird in das göttliche Leben, dann kann es ihr nicht verborgen bleiben, daß es ein dreipersönliches Leben ist, und sie muß mit allen drei göttlichen Personen in Fühlung kommen[2].


Glaube und Beschauung. Tod und Auferstehung

Die Verschiedenheit des Innewohnens Gottes durch die Gnade und durch die mystische Einigung erscheint uns auch als geeignete Grundlage, um zu einer klaren Abgrenzung von Glauben und Beschauung zu gelangen. Der hl. Vater Johannes spricht von beiden sehr häufig, aber er gibt keine eigentliche Gegenüberstellung in der Weise, daß man ihn auf eine eindeutige Bestimmung des wechselseitigen Verhältnisses festlegen könnte. Vielfach klingen seine


  1. Lebendige Liebesflamme, Erklärung zu Str. 3 V. 5 u. 6, Obras IV 88 ff. u. 199 ff.
  2. Bei der Besprechung der Lebendigen Liebesflamme werden wir sogleich darauf stoßen. Die hl. Mutter Teresia schildert das Niedersteigen der Allerheiligsten Dreifaltigkeit zur mystischen Vermählung in der Seelenburg, 7. Wohnung 1. Hauptstück.
Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 161. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/161&oldid=- (Version vom 7.1.2019)