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Tod und Auferstehung

kann. Der Glaube ist in erster Linie Sache des Verstandes. Wenn auch in der Annahme des Glaubens eine Beteiligung des Willens zum Ausdruck kommt, so ist es doch die Annahme einer Erkenntnis. Die Dunkelheit des Glaubens bezeichnet eine Eigentümlichkeit dieser Erkenntnis. Die Beschauung ist Sache des Herzens, d.h. des Innersten der Seele, und darum aller Kräfte. Die Gegenwart und die scheinbare Abwesenheit Gottes werden im Herzen gespürt - beseligend oder in schmerzlichster Sehnsucht. Hier am Innersten, wo sie ganz bei sich selbst ist, spürt die Seele aber auch sich selbst und ihre Verfassung[1]; und solange sie nicht völlig gereinigt ist, fühlt sie sie peinigend als Gegensatz zur erlebten Heiligkeit des gegenwärtigen Gottes. So bezeichnet die Nacht der Beschauung nicht nur Dunkelheit der Erkenntnis, sondern Finsternis der Unreinheit und reinigende Qual.

Im Glauben und in der Beschauung wird die Seele von Gott ergriffen. Das Annehmen der offenbarten Wahrheit geschieht nicht einfach durch natürlichen Willensentschluß. Die Glaubensbotschaft kommt zu vielen, die sie nicht annehmen. Es können dabei natürliche Beweggründe mitsprechen, aber es gibt auch Fälle, in denen ein geheimnisvolles Nicht-Können zugrunde liegt: die Gnadenstunde ist noch nicht gekommen. Das gnadenhafte Innewohnen hat noch nicht eingesetzt. In der Beschauung aber begegnet die Seele Gott selbst, der sie ergreift.

Gott ist die Liebe. Darum ist das Ergriffenwerden von Gott Entzündetwerden in Liebe – wenn der Geist dazu bereit ist. Für alles, was endlich ist, ist die ewige Liebe verzehrendes Feuer. Und das sind alle Bewegungen, die durch die Geschöpfe in der Seele ausgelöst werden. Wendet sie sich den Geschöpfen zu, dann entzieht sie sich der göttlichen Liebe, kann ihr aber nicht entgehen. Dann wird die Liebe für sie selbst verzehrendes Feuer. Der Menschengeist als Geist ist auf unvergängliches Sein entworfen. Das kündigt sich an in der Unwandelbarkeit, die er seinen eigenen Zuständen zuschreibt: daß er meint, so wie es jeweils um ihn bestellt ist, müßte es immer bleiben[2]. Das ist ein Täuschung, denn in seinem zeitlichen Sein ist er dem Wandel unterworfen. Aber es spricht daraus das Bewußtsein davon, daß sein Sein nicht in der Zeitlichkeit aufgeht, sondern im Ewigen wurzelt. Seiner Natur nach kann er nicht zerfallen wie stoffliche Gebilde.


  1. Dieses Sichspüren in der Tiefe ist etwas anderes als die einfache Selbsterkenntnis, die die hl. Mutter in der Seelenburg schon der 1. Wohnung zuweist. Es ist ein Innewerden seiner selbst, ohne sich selbst gegenüberzutreten. Dabei bleibt das eigene Wesen geheimnisvoll, ebenso wie die Gegenwart Gottes darin. Das Innerste wird hier nicht eingeschränkt auf die 7. Wohnung, wo die Vermählung stattfindet, sondern für den ganzen Bereich des mystischen Geschehens genommen.
  2. Nacht des Geistes, Erklärung zu Str. 1 V. 1, § 3 Kap. 7, E. Cr. II 69.
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Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 164. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/164&oldid=- (Version vom 7.1.2019)