Seite:Edith Stein - Kreuzeswissenschaft.pdf/168

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

meint, es werde das Gewebe des irdischen Lebens zerrissen und es fehle nur sehr wenig zum Besitz der ewigen Seligkeit und des ewigen Lebens. So ist sie ganz erfüllt von heftigem Verlangen und fleht um Befreiung von der sterblichen Hülle[1].

Die Lebendige Liebesflamme ist der Heilige Geist, „den die Seele nunmehr in sich fühlt .... als ein Feuer, das sie verzehrt und in wonnevolle Liebe umgestaltet“, darüber hinaus aber „als ein Feuer, das aus ihr hinausbrennt und .... in Flammen ausschlägt. Sooft nun diese Flamme auflodert, taucht sie die Seele in Wonne und be­lebt sie mit einer Art göttlichen Lebens“. Der Heilige Geist wirkt in der Seele ein Entbrennen der Liebe, worin der Wille der Seele mit der göttlichen Flamme eine einzige Liebe geworden ist. Die Umgestaltung in Liebe ist der Habitus, der dauernde Zustand, in den die Seele versetzt ist, das Feuer, das ständig in ihr brennt. Ihre Akte aber „sind die Flamme, die aus dem Feuer der Liebe hervorbricht und umso heftiger emporlodert, je intensiver das Feuer der Vereinigung brennt“. In diesem Zustand kann die Seele nicht selbst tätig sein. Alle ihre Akte werden vom Heiligen Geist angeregt und voll­bracht, sind darum ganz göttlich. Und so scheint es der Seele bei je­dem Emporlodern der Flamme, als werde ihr nun das ewige Leben verliehen: „sie wird ja erhoben zu einem göttlichen Tun in Gott“. Bei dieser Umgestaltung in eine Liebesflamme teilen sich ihr der Vater, der Sohn und der Heilige Geist mit, sie kommt darin Gott so nahe, daß sie einen Schimmer des ewigen Lebens erhascht; sie hat die Empfindung, als sei dies das ewige Leben[2].

Die Flamme des göttlichen Lebens berührt die Seele mit der Zartheit des göttlichen Lebens und verwundet sie so mächtig in ihrem tiefsten Innern, daß sie ganz in Liebe zerfließt. Wie kann hier noch von Verwundung die Rede sein? In der Tat sind diese Wunden „gleich den lichtesten Flammen zärtlichster Liebe“, Spiele der ewigen Weisheit, „Flämmchen der zärtlichsten Berührungen, wodurch die Seele unablässig von jenem Feuer der Liebe, das nie untätig ist, ge­troffen wird....“[3]

Das geschieht im allertiefsten Grunde der Seele, wohin weder der Teufel noch die Sinnlichkeit zu dringen vermögen, darum ganz ungestört, wesentlich und wonnevoll. „.... Je lieblicher und innerlicher etwas ist, umso reiner ist es, und je größer die Reinheit ist, desto reichlicher, häufiger und vollständiger teilt sich Gott mit, und umso tiefgehender ist auch der Genuß und die Freude der Seele.... Gott


  1. Lebendige Liebesflamme, Erklärung zu Str. 1, Obras IV 7 u. 109 f.
  2. a. a. O. Str. 1 V. 1, Obras IV 8 ff. u. 110 ff.
  3. a. a. O. Str. 1 V. 2, Obras IV 11 f. u. 112 f.
Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 168. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/168&oldid=- (Version vom 7.1.2019)