Seite:Edith Stein - Kreuzeswissenschaft.pdf/170

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

dem „Feuer Gottes in Sion“ (Is. 31,9), d.h. in der streitenden Kirche, in der das Feuer der Liebe nicht bis zum Äußersten entbrennt, die Liebesvereinigung mit Entflammung der Liebe dem „Glutofen Gottes in Jerusalem“, dem Schauen des Friedens in der triumphie­renden Kirche, wo dieses Feuer wie in einem Glutofen in vollkom­mener Liebe entbrennt. Die Seele hat noch nicht die Vollkommen­heit des Himmels erreicht, aber sie glüht wie ein Feuerofen mit ru­higem, herrlichem, liebeglühendem Schauen. Sie nimmt wahr, wie die „Liebesflamme in lebendiger Weise ihr alle Gnadengüter er­weist“. Darum ruft sie aus: „O Flamme lebend’ger Liebe, die zart Du mich verwundest!“ und will damit sagen: „O brennende Liebe, die Du meine Seele entsprechend ihrer größeren Fähigkeit und Kraft mit Deinen Liebesanregungen so zärtlich verklärst! Du gibst mir eine göttliche Erkenntnis, wie sie der ganzen Fähigkeit und Empfänglichkeit meines Verstandes entspricht, Du schenkst mir eine Liebe entsprechend der erweiterten Kraft meines Willens und er­füllst das Wesen meiner Seele durch Deine göttliche Berührung und wesenhafte Vereinigung mit einem Strom von Wonne, wie sie nur die Reinheit meines Wesens und die Empfänglichkeit und Fassungs­kraft meines Gedächtnisses aufzunehmen vermag“. Wenn die Läute­rung aller Kräfte vollendet ist, dann „läßt die göttliche Weisheit .... die Seele mit ihrer göttlichen Flamme auf unergründliche, zarte und erhabene Weise in sich aufgehen, und in diesem Aufgehen der Seele in der Weisheit entsendet der Heilige Geist die beseligenden Schwin­gen Seiner Flamme“[1]. Es ist dasselbe Feuer, das der Seele in der Rei­nigung dunkel und schmerzhaft war. Nun aber ist es hellleuchtend, lieblich und beseligend. Darum sagt die Seele: „Da Du nicht mehr voll Schmerzen“. Früher hat das göttliche Licht sie nur ihre eigene Finsternis sehen lassen. Nun, wo sie erleuchtet und umgestaltet ist, sieht sie in sich das Licht. Früher war die Flamme für den Willen schrecklich, weil sie ihm seine eigene Härte und Trockenheit schmerz­voll empfinden ließ. Er konnte die Zartheit und Lieblichkeit der Flamme nicht spüren. Er konnte auch ihre Süßigkeit nicht schmecken, weil sein Geschmack durch entartete Neigungen verdorben war. Die Seele konnte den unermeßlichen Reichtum und die Wonne der Liebesflamme nicht fassen und empfand unter ihrer Einwirkung nur die eigene Armut und das eigene Elend. An all das denkt sie nun zurück und will mit jenen kurzen Worten sagen: „Du bist nun für meinen Verstand nicht mehr Finsternis wie ehedem, sondern ein


  1. a. a. O. Str. 1 V. 3, Obras IV 12 ff. u. 113 ff. Die Abgrenzung gegenüber der ewigen Herrlichkeit und das Eingehen auf den Zweifel an der Möglichkeit so überschwänglicher Gnaden sind Hinzufügungen der zweiten Bearbeitung (B).
Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 170. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/170&oldid=- (Version vom 7.1.2019)