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Galle und unvermischten Essig. Haltet das für ein großes Glück, denn wenn ihr so der Welt und euch selbst absterbt, gelangt ihr zu einem Leben aus Gott in der Wonne des Geistes“. Wem „die ganz besondere Gnade der inneren Prüfung“ verliehen wird, der muß Gott erst viele Dienste erweisen, große Geduld und Standhaftigkeit an den Tag legen, vor den Augen des Herrn in Leben und Wirken äußerst angenehm werden. So kommt es, „daß nur wenige es ver­dienen, durch Leiden zur Vollendung zu gelangen“[1].

Rückschauend erkennt dann die Seele, daß ihr alles zum Heil geworden ist und daß das Licht den Finsternissen entspricht. Es wird ihr nicht nur alles vergolten; es sind in ihr auch alle unvollkomme­nen Begierden ertötet, die ihr das geistige Leben rauben wollten. So hat Gottes Hand tötend den Tod in Leben gewandelt.

Unter Leben ist dabei ein Doppeltes zu verstehen: die beseligende Anschauung Gottes, zu der wir nur durch den natürlichen Tod hin­durch gelangen können, und das vollkommene geistige Leben in der Liebesvereinigung mit Gott: dahin führt die Ertötung aller Laster und Begierden. Was die Seele hier Tod nennt, ist „der ganze alte Mensch, .... der Gebrauch des Gedächtnisses, des Verstandes und Willens, die sich mit den Dingen dieser Welt beschäftigen...., und die Begierden und Neigungen, die auf die Geschöpfe gerichtet sind“. In all dem besteht das alte Leben, und das ist gleichbedeutend mit dem Tod des neuen, geistigen Lebens. In diesem neuen Leben der Vereinigung aber werden alle Begierden und Kräfte der Seele, alle ihre Neigungen und Tätigkeiten in göttliche umgewandelt. Sie lebt „ein Leben Gottes, und so hat sich ihr Tod in Leben umgewandelt, das sinnliche Leben in geistiges“. Ihr Verstand ist umgestaltet in einen göttlichen Verstand, ihr Wille, ihr Gedächtnis und ihr natür­liches Begehren sind alle vergöttlicht. „Das Eigenwesen (sustancia) der Seele ist zwar nicht das göttliche Wesen, da es sich nicht seinem Bestand nach (sustancialmente) in Gott verwandeln kann, aber durch die Vereinigung mit Gott und durch das Hineingezogensein in Ihn ist es Gott durch Teilnahme“. So kann die Seele nun mit vollem Recht sagen: „Ich lebe, doch nicht ich, sondern Christus lebt in mir“ (Gal. 2, 20). Sie ist nun „innerlich und äußerlich immer in Feststimmung, und dem Mund ihres Geistes entströmt häufig ein heller Jubel zu Gott, gleich einem neuen, immer neuen Lied in Freude, Liebe und Erkenntnis ihres glückseligen Standes“. Gott, der alles neu macht, erneuert auch die Seele beständig. Er läßt sie nicht


  1. a. a. O. Str. 2 V. 5, Obras IV 38 ff. u. 144 ff.
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Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 180. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/180&oldid=- (Version vom 7.1.2019)