Herrlichkeit Gottes erkennt und fühlt“. Die Herrlichkeit Gottes teilt sich im Wesen der Seele mit (sie nennt es ihren Schoß) und offenbart sich in unermeßlicher Macht, mit der Stimme „von tausend und abertausend Kräften Gottes, die man nicht zählen kann. Mitten unter ihnen bleibt die Seele unbeweglich, .... furchtbar und fest wie ein geordnetes Heerlager und zugleich lieblich und holdselig, mit allen Reizen der geschaffenen Dinge ausgestattet“. Daß die Seele in der Schwäche des Fleisches bei einem so herrlichen Erwachen nicht in Ohnmacht gerät und vor Furcht vergeht, ist einmal daraus zu erklären, daß sie sich schon im Stande der Vollkommenheit befindet. Der niedere Teil ist vollkommen gereinigt und dem Geist gleichförmig gemacht, sodaß er keine Einbuße und Pein mehr erleidet bei geistigen Mitteilungen wie früher. Überdies aber zeigt sich Gott „sanft und voller Liebe“. Er sorgt dafür, daß die Seele keinen Schaden nimmt, und schützt die Natur, während Er dem Geist Seine Herrlichkeit mitteilt. Darum empfindet die Seele ebensoviel Liebe und Milde in Ihm wie Macht, Herrlichkeit und Größe. So mächtig ihr Entzücken ist, so mächtig ist auch der Schutz in Milde und Liebe, um dieses mächtige Entzücken ertragen zu können. So wird die Seele eher kraftvoll und stark als ohnmächtig. Der König des Himmels zeigt sich ihr wie ein Gleichgestellter und Bruder. Er steigt von Seinem Thron herab, neigt sich zu ihr und umarmt sie. Er bekleidet sie mit königlichen Gewändern: mit den wunderbaren Kräften Gottes, umgibt sie mit dem Goldglanz der Liebe und läßt in ihr als kostbare Edelsteine die Erkenntnis der höheren und niederen Wesen leuchten[1]. All das vollzieht sich in ihrem innersten Wesen, wo Er „verborgen weilet ganz allein“. Gott weilt freilich in allen Seelen geheim und verborgen – sonst könnten sie nicht bestehen. Aber in einigen weilt Er allein, in anderen nicht allein; hier mit Wohlgefallen, dort mit Widerwillen. In einigen weilt Er wie in Seinem eigenen Hause, wo Er alles lenkt und leitet, in andern wie ein Fremdling, den man nicht gebieten und nichts tun läßt. Je weniger eine Seele von eigenen Begierden und Neigungen eingenommen ist, desto mehr ist Er darin allein und wie im eigenen Hause, und je mehr allein, desto verborgener weilt Er auch darin. In einer Seele, die von allen Begierden frei ist, aller Formen, Bilder und geschöpflichen Neigungen entkleidet, da verweilt Er ganz verborgen und in innigster Umarmung. Weder der Teufel noch ein Menschenverstand können ausfindig machen, was da vorgeht. Der Seele selbst aber bleibt es auf dieser Stufe der Vollkommenheit nicht verborgen,
- ↑ a. a. O. Str. 4 V. 1 u. 2, Obras 93 ff. u. 204 ff.
Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 192. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/192&oldid=- (Version vom 7.1.2019)