Seite:Edith Stein - Kreuzeswissenschaft.pdf/219

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Das Brautsymbol und die einzelnen Bilder

erfüllt“, wie es bei der Herabkunft des Heiligen Geistes auf die Apostel geschah. Das gewaltige Brausen, das die Bewohner von Je­rusalem hörten, war nur eine Andeutung dessen, was die Apostel innerlich vernahmen. Diese geistige Stimme ist trotz ihrer gewalti­gen Kraft lieblich anzuhören. Der hl. Johannes vernahm sie „wie das Rauschen vieler Wasser und wie das Rollen starker Donner“ und doch zugleich wie „das Spiel von Harfenspielern, die auf ihren Harfen spielten“ (Apoc. 14,2)[1].

Wenn linde Lüfte säuselnd um die Wange spielen, ist es wie die liebliche Weise, in der die Tugenden und Reize des Geliebten der Seele eingegossen werden: „eine überaus erhabene und süße Erkennt­nis Gottes und Seiner Vollkommenheiten, die in den Verstand sich ergießt durch Berührung dieser Vollkommenheiten im Wesen der Seele....

.... Wie man die Berührung der Luft mit dem Tastsinn und ihr Säuseln mit dem Gehörsinn wahrnimmt, so fühlt und genießt man auch die Berührung der Vollkommenheiten des Geliebten im Tast­sinn der Seele, d.h. in ihrem Wesen (mittels des Willens); und die Erkenntnis gewinnt man durch den Gehörsinn der Seele, durch den Verstand“. Überaus lieblich und wohltuend ist diese Mitteilung. „.... Wie das Säuseln der Luft sich sehr frei dem Gehörsorgan mit­teilt, so dringt auch diese überaus zarte und feine Erkenntnis mit wunderbarer Lust und Wonne in das Innerste des Wesens der See­le; und diese Wonne übertrifft jede andere...., weil der Seele eine wesenhafte Erkenntnis zukommt, die frei ist von allen unwesent­lichen Bildern und Formen“. „Dieses göttliche Säuseln, das durch das Gehör der Seele eindringt, ist nicht nur eine wesenhafte Er­kenntnis, sondern auch eine Enthüllung der göttlichen Wahrheiten im Verstande oder eine Enthüllung der göttlichen Geheimnisse.... Sooft in der Heiligen Schrift von einer Mitteilung Gottes .... durch das Gehör die Rede ist, darf man gewöhnlich eine Offenbarung dieser reinen Wahrheiten im Verstande .... annehmen. Es sind das rein geistige Offenbarungen oder Visionen, die nur der Seele ver­liehen werden ohne Vermittlung oder Beihilfe der Sinne. Aus die­sem Grunde sind die Mitteilungen Gottes .... mittels des Gehörs .... ganz erhaben und sicher“. So nimmt man an, daß unser hl. Vater Elias „im sanften Säuseln“ Gott schaute (3 Reg. 19,12) und auch Paulus, als er „geheimnisvolle Worte hörte, die kein Mensch aus­sprechen darf“ (2 Cor. 12,4). Denn das „Hören der Seele ist ein Schauen mit dem Verstande“. Freilich nicht die vollkommene und


  1. Erklärung zu Str. 14(13) V. 4, Obras III 270 u. 67.
Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 219. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/219&oldid=- (Version vom 6.1.2019)