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Der Seele Brautgesang

sie alles in reiner Gottesliebe.... Wie die Biene aus allen Blumen .... Honig saugt und nichts anderes darin sucht, so schöpft auch die Seele mit erstaunlicher Leichtigkeit aus allen Ereignissen des Lebens die Süßigkeit der Liebe....“[1]

Daß Gott allein an der Liebe und ihren Äußerungen Gefallen findet, hat seinen Grund darin, daß all unsere Werke und Bemühungen vor Seinen Augen ein reines Nichts sind. Wir können Ihm nichts geben, Er bedarf nichts und verlangt nichts. „Er will nur eines: die Würde unserer Seele erheben....; was Ihm allein Gefallen bereitet, ist die Bereicherung der Seele. Weil sie durch nichts anderes mehr zu Ehren kommen kann, als wenn Er sie sich gleich macht, so will Er einzig und allein, daß sie Ihn liebe. Der Liebe ist es ja eigen, den Liebenden dem, was er liebt, gleichzumachen. Und da die Seele hier die vollkommene Liebe besitzt, heißt sie die Braut des Sohnes Gottes, und das bedeutet Gleichheit mit Ihm, Gleichheit durch die Freundesliebe, kraft deren beide alle Güter gemeinsam besitzen....“[2]

Die Seele steht nun mit allem, was sie ist und hat, im Dienst Gottes. Es ist ihr so selbstverständlich, für Ihn und Seine Ehre zu wirken, daß sie es oft tut, ohne daran zu denken und sich dessen bewußt zu werden, daß sie für Gott handelt. Früher überließ sie sich „vielen unnützen Beschäftigungen.... Denn alle ihre gewohnheitsmäßigen Unvollkommenheiten können wir ebensoviele Beschäftigungen nennen....: die Neigung, Unnützes zu reden, zu denken und zu tun, indem man all das betreibt ohne Rücksicht auf die Vervollkommung der Seele....“ Alle diese Geschäfte kennt sie jetzt nicht mehr; denn „alle ihre Gedanken, Worte und Werke sind nun aus Gott und auf Gott gerichtet“ [3]. Sie hat kein anderes Amt mehr, als zu lieben. Alle ihre Fähigkeiten sind nur noch tätig durch die Liebe und in der Liebe. Das gilt für ihr Gebetsleben ebenso wie für die Beschäftigung mit zeitlichen Dingen. Vor der Liebesvereinigung mußte sie die Liebe im tätigen wie im beschaulichen Leben üben. In diesem Stande aber ist es nicht mehr zuträglich, sich mit andern Werken und äußeren Übungen zu befassen, die auch nur im geringsten ihrem Liebesleben in Gott hinderlich sein könnten. Und dies gilt auch, wenn es sich um Werke handelt, die Seine Ehre in hohem Grade vermehren. Denn „ein Funken reiner Liebe ist kostbarer vor Gott, nützlicher für die Seele und segensvoller für die Kirche


  1. Gegen Ende der Erklärung zu Str. 27 (19), Obras 356 u. 104.
  2. Vorbemerkung zu Str. 28, Obras III 356.
  3. Erklärung zu Str. 28, Obras III 357.
Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 232. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/232&oldid=- (Version vom 6.1.2019)