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Brautsymbol und Kreuz

als alle andern Werke zusammengenommen, wenn es auch den Anschein hat, als tue man nichts“[1].

Wenn die Welt einen solchen Menschen für verloren hält, der von ihren Geschäften und Zerstreuungen nichts mehr wissen will, so nimmt die Seele diesen Vorwurf gern auf sich. Sie bekennt mutig und frei: ja, ich habe mich verloren. Dies Verlorensein ist ja für sie gleichbedeutend mit Gewonnenwerden; „sie verlangt keinen Gewinn und keine Belohnung, sondern hat nur den einen Wunsch, alles und sich selbst zu verlieren, um Gott anzugehören“. Ins Geistige übertragen heißt es, daß sie im Verkehr mit Gott alle natürlichen Mittel und Wege aufgegeben hat und nur im Glauben und in der Liebe mit Gott verkehrt. Dann ist sie für Gott gewonnen, weil „sie in Wirklichkeit für alles verloren ist, was nicht Gott ist....“[2]

Dann ist aber auch für die Seele alles gewonnen. Sie ist mit auserlesenen Tugenden und Gaben geschmückt wie mit Blumen und Smaragden. Sie formen, zum Kranzgewinde verbunden, einen vollendet schönen Brautschmuck. Und alle heiligen Seelen zusammen bilden ihrerseits ein Kranzgewinde, das die Braut Kirche mit Christus, dem Bräutigam, flicht. Alle Blüten, mit denen die Seele geziert ist, sind Geschenke des Geliebten. Das Haar, das die Tugenden fest zusammenbindet, ist der Wille und seine Liebe, die das Band der Vollkommenheit ist (Col. 3,14). Ohne dies Band fallen die Tugendblüten auseinander und werden zerstört. Die Liebe muß stark sein, um den Kranz der Tugenden zusammenzuhalten. Wenn sie das ist und der Glaube treu und einfältig, dann sieht Gott mit Wohlgefallen auf sie und macht sich selbst zu ihrem Gefangenen. „Groß ist die Macht und das Ungestüm der Liebe, da sie Gott selbst gefangenzunehmen und zu verwunden weiß.... Wer Ihn durch solch eine uneigennützige Liebe besitzt, erreicht alles, was er wünscht. Wer aber diese Liebe nicht kennt, der redet umsonst mit Ihm und vermag auch nichts bei Ihm, selbst nicht durch ungewöhnliche Werke.... Diese Wahrheit erkennt die Seele, und sie sieht auch ein, daß Er ihr ganz unverdient so große Gnaden verliehen hat“[3]. Sie schreibt nichts sich selbst, alles Gott zu. Wenn sie liebenswürdig ist in Seinen Augen, so hat Sein liebender Blick sie dazu gemacht. Durch Seine Gnade hat Er sie so schön gemacht, daß Er sie nun innig lieben kann. Gott kann ja nichts lieben, was außer Ihm ist. Wenn Er „eine Seele liebt, so nimmt Er sie in gewissem Sinn in sich selbst auf und erhebt sie zu gleicher Höhe mit sich, und so liebt Er die Seele


  1. Vorbemerkung zu Str. 29, Obras III 361.
  2. Erklärung zu Str. 29 V. 5, Obras III 365.
  3. Vorbemerkung zu Str. 32, Obras III 380.
Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 233. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/233&oldid=- (Version vom 6.1.2019)