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Brautsymbol und Kreuz

aufgesucht, d.h. allem Irdischen entsagt. Doch in dieser Einsamkeit lebte sie in Mühseligkeiten und Beängstigungen. Nun aber hat Gott sie in eine neue, vollkommene Einsamkeit geführt, wo sie Ruhe und Erquickung findet. „In dieser Einsamkeit, in der die Seele, getrennt von allen Geschöpfen, allein mit Gott lebt, ist Er es, der sie führte anregt und zu göttlichen Dingen erhebt“. Und „Er ist es auch einzig und allein, der in ihr wirkt, ohne sich irgend einer Mithilfe zu bedienen.... Gott wirkt in ihr und teilt sich ihr unmittelbar mit...., einzig durch sich selbst und nicht durch Vermittlung der himmlischen Geister oder mittels einer natürlichen Kraft. Alle inneren und äußeren Sinne, die geschaffenen Dinge, ja die Seele selbst können ihrerseits fast nichts beitragen zum Empfang dieser ganz übernatürlichen Gnaden, die Gott in diesem Stande verleiht....; Er will ihr keine andere Gesellschaft geben und sie niemandem als sich selbst anvertrauen“[1].

Vom höchsten Gipfel dieses Lebens erhebt sich dann die Sehnsucht der Seele zur ewigen Schau: zum Berg der Wesenserkenntnis Gottes im Ewigen Wort und um Hügel der „Weisheit niederen Ranges, die sich in den Geschöpfen und wunderbaren Werken offenbart“. Diese göttliche Weisheit soll sie wie ein reines Wasser von allen Flecken der Unwissenheit befreien. Je mehr die Liebe wächst, desto größer wird das Verlangen, die göttlichen Wahrheiten rein und klar zu erkennen und immer tiefer einzudringen in die Abgründe der unerforschlichen Ratschlüsse und Geheimnisse Gottes. „Um dies zu erreichen, würde sie getrost und freudig alle Prüfungen und Leiden der Welt auf sich nehmen und sich zu allem verstehen, was ihr dazu behilflich sein könnte, wäre es auch noch so schwer und peinlich.... Die unergründliche Tiefe, worin die Seele .... einzudringen wünscht, kann .... auch als Sinnbild .... der Leiden und Trübsale betrachtet werden, welche die Seele auf sich zu nehmen wünscht. Denn im Leiden findet sie ihre größte Wonne und ihren höchsten Gewinn, weil es ein Mittel ist, um tiefer in die Wonnen und Tiefen der Weisheit Gottes einzudringen. Das Leiden läutert, und je mehr die .... Reinheit zunimmt, desto tiefer und klarer wird auch die Erkenntnis und desto vollkommener und erhabener der Genuß, weil er aus einem tieferen Erkennen entspringt. Deshalb gibt sich die Seele nicht zufrieden mit irgendeiner Art gewöhnlicher Leiden, sondern will .... auch die Todesängste auf sich nehmen, .... als Mittel...., um Gott zu schauen.... Wann wird man doch zur Einsicht kommen, daß die Tiefen der Weisheit und


  1. Erklärung zu Str. 35, Obras III 393 ff.
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Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 235. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/235&oldid=- (Version vom 6.1.2019)