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Der Seele Brautgesang

Meines Gottes schreiben und den Namen der Stadt Meines Gottes, des neuen Jerusalem, das vom Himmel, Meinem Gott, herabsteigt, und auch Meinen Namen, den neuen“ (Apoc. 3,12). „Wer überwindet, dem werde Ich verleihen, mit Mir auf einem Thron zu sitzen, so wie auch Ich überwunden und Mich zu Meinem Vater auf Seinen Thron gesetzt habe“ (Apoc. 3,22). „All das sind Worte des Sohnes Gottes, die uns jenes Was verständlich machen sollen. Jedes entspricht Ihm in vollkommener Weise, aber sie erklären es nicht. Denn Unermeßliches kann man nicht in Worte kleiden“[1].

Die Seele im Stand der mystischen Vermählung ist nicht ganz in Unkenntnis über dies Unermeßliche und Unaussprechliche. Die Umgestaltung in Gott hat ihr schon Unterpfänder davon verliehen: das Wehen des Lufthauches, das ihr vom Heiligen Geist verliehen wird, ein Aushauchen eben dieses Heiligen Geistes, des Geistes der Liebe, den Vater und Sohn gemeinsam aushauchen. Er „haucht in jener Umgestaltung die Seele im Vater und im Sohn an, um sie mit sich zu vereinigen. Denn diese Umgestaltung der Seele wäre keine wirkliche und vollkommene, wenn sie nicht in ihr den drei Personen der Heiligsten Dreifaltigkeit offen und wahrnehmbar zu Tage träte. Und dies Hauchen des Heiligen Geistes in der Seele, wodurch Gott sie in sich umgestaltet, überschüttet sie mit einem so erhabenen, zarten und innigen Entzücken, daß keine menschliche Zunge es auszusprechen und kein Menschenverstand sich auch nur annähernd einen Begriff davon zu machen vermag.... Wenn die Seele mit dieser Umgestaltung hier auf Erden begnadigt wird, dann findet dieses gegenseitige Aushauchen zwischen Gott und der Seele sehr häufig statt, .... mit der innigsten Liebeswonne für die Seele. Aber diese Wonne erreicht nie jenen ausgeprägten und offensichtlichen Charakter wie im andern Leben.... Eine so erhabene Tätigkeit darf uns nicht unmöglich erscheinen.... Wenn Gott die Seele einmal in gnadenvoller Weise mit der Heiligsten Dreifaltigkeit vereinigt, sodaß sie vergöttlicht und Gott durch Teilnahme wird – wer kann es dann für unglaublich finden, daß sie ihre Verstandes-, Willens- und Liebestätigkeit vollzieht .... in der Heiligsten Dreifaltigkeit, vereint mit Ihr und wie der Dreieinige Gott selbst.... Das heißt umgestaltet sein in die drei Personen, der Macht, Weisheit und Liebe nach, und dadurch ist die Seele Gott ähnlich. Damit sie zu dieser erhabenen Lebensweise gelangen könne, schuf sie Gott nach Seinem Bild und Gleichnis“[2].


  1. Erklärung zu Str. 38 V. 5, Obras III 412 ff.
  2. Erklärung zu Str. 39 V. 1, Obras III 416 ff.
Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 238. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/238&oldid=- (Version vom 6.1.2019)