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DIE WELTANSCHAULICHE BEDEUTUNG DER PHÄNOMENOLOGIE


EINLEITUNG: WELTANSCHAUUNG UND PHILOSOPHIE

Das Thema setzt voraus, daß Phänomenologie nicht einfach Weltanschauung sei, stellt es zum mindesten in Frage, ob sie es sei, nimmt aber an, daß sie auch nicht ohne Einfluß auf die Weltanschauung des Phänomenologen selbst, vielleicht auch anderer Menschen sei. Um das Verhältnis von Phänomenologie und Weltanschauung zu untersuchen, muß man zunächst Klarheit haben, was unter beidem verstanden werden soll. Für die Phänomenologie läßt sich das nicht in kurzen Worten angeben, eher kann man das für Weltanschauung versuchen.

Man kann darunter ein geschlossenes Weltbild verstehen: einen Überblick über alles, was ist, die Ordnungen und Zusammenhänge, worin alles steht, vor allem über die Stellung des Menschen in der Welt, sein Woher? und Wohin? Ein Verlangen nach einer solchen Weltanschauung besteht in jedem geistig lebendigen Menschen; aber nicht jeder gelangt dazu, ja es bemüht sich nicht einmal jeder ernstlich darum.

Der Katholik hat es verhältnismäßig leicht damit, weil seine Glaubenslehre ihm ein geschlossenes Weltbild gibt. Aber auch dieses Erbgut muß man sich erwerben, persönlich aneignen, um es zu besitzen. Wer das tut und sich sein Weltbild rein auf Grund der Glaubenslehre gestaltet, von dem kann man sagen, daß er eine religiöse Weltanschauung habe. Wer außerhalb der Kirche steht oder zwar in ihr aufgewachsen ist, aber es unterlassen hat, sich ihr Weltbild persönlich anzueignen und gar nicht ahnt, was ihm in seinem Glaubensgut gegeben ist, der hat es schwerer, denn er muß sich erst

Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Die weltanschauliche Bedeutung der Phänomenologie. Editions Nauwelaerts, Louvain 1962, Seite 1. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Welt_und_Person.pdf/1&oldid=- (Version vom 31.7.2018)