Seite:Edith Stein - Welt und Person.pdf/106

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Martin Heideggers Existentialphilosphie

Wenn nicht eine religiöse Erziehung durch den Hinweis auf das ewige Leben dem Tod einen neuen Sinn gegeben hat, so fügt der Anblick von Toten zu der Deutung des Todes als Nicht-mehr-in-der-Welt-sein wohl vor allem die des Entseeltseins hinzu, besonders wenn in der Auffassung des lebendigen Menschen die vitale Lebendigkeit im Verhältnis zum geistigen Ausdruck vorherrscht. Von dieser Betrachtung des Todes muß Heidegger absehen, weil sie ihn ja zwingen würde, Leib und Seele und ihr wechselseitiges Verhältnis zu berücksichtigen, was von vornherein ausgeschlossen wurde. Dem unbefangenen Menschen hat zu allen Zeiten die Erfahrung des Todes in dieser Form die Frage nach dem Schicksal der Seele aufgedrängt.

Sie muß erst recht geweckt werden, wenn man nicht nur den Toten sieht, sondern das Sterben miterlebt. Wer einmal Zeuge eines schweren Todeskampfes ist, dem wird wohl für immer die Harmlosigkeit des Man stirbt vergehen. Es ist das gewaltsame Auseinanderbrechen einer natürlichen Einheit. Und wenn der Kampf vorbei ist, dann ist der Mensch, der ihn geführt oder in dem er sich abgespielt hat, nicht mehr da. Was von ihm übrig ist, ist nicht mehr er selbst. Wo ist er selbst? Wo ist das, was ihn zu diesem lebendigen Menschen machte? Wenn wir darauf keine Antwort geben können, dann ist uns der volle Sinn des Todes nicht erschlossen. Der Glaube weiß eine Antwort. Aber gibt es im Bereich unserer Erfahrung etwas, was sie bestätigt? In der Tat gibt es so etwas. Heidegger sagt mit Recht, daß kein Mensch einem anderen den Tod abnehmen könne. Es gehört zum Dasein, und jeder Einzelne hat seinen Tod wie sein Dasein. So ist das, was man an verschiedenen Sterbebetten zu sehen bekommt, keineswegs gleich. Ich denke jetzt nicht daran, daß es hier ein harter Kampf ist und dort ein sanftes Einschlummern. Ich denke daran, daß mancher Tote nach dem Kampf wie ein Sieger daliegt: in majestätischer Ruhe und tiefem Frieden. So stark ist der Eindruck auf die Überlebenden, daß der Schmerz über den Verlust zurücktritt hinter der Größe des Geschehens. Könnte das bloße Aufhören des Lebens, der Übergang vom Sein zum Nicht-sein einen solchen Eindruck hervorbringen? Und ist es denkbar, daß der Geist, der dem Körper diesen Stempel aufgeprägt hat, nun nicht mehr sein sollte?

Es gibt aber ein Sterben, bei dem noch anderes geschieht: bei dem schon vor dem Eintreten des leiblichen Todes alle Spuren des Kampfes

Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Martin Heideggers Existentialphilosophie. Editions Nauwelaerts, Louvain 1962, Seite 106. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Welt_und_Person.pdf/106&oldid=- (Version vom 31.7.2018)