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Die weltanschauliche Bedeutung der Phänomenologie

ich mich zu erinnern glaube, Täuschung. So behält Husserl als unbezweifelbar gewiß nur das übrig, was er reines Ich nennt: das pure Subjekt der Akte ohne alle menschlichen Eigenschaften. Die eigene Person mit ihren Eigenschaften, ihren Lebensschicksalen usw. gehört ebenso wie die andern Personen zu der Welt, die sich in bestimmten Akten des reinen Ich konstituiert.

Für Heidegger ist ähnlich wie für Scheler charakteristisch, daß es ihm offenbar in seinem Philosophieren darum zu tun ist, das Leben und die Stellung des Menschen im Leben zu verstehen. Er unterscheidet sich von Scheler und stimmt mit Husserl darin überein, daß er nicht in reiner Hingegebenheit an die Objekte und in Selbstvergessenheit ihr Wesen zu erforschen sucht, sondern daß er als philosophische Fundamentaldisziplin die Erforschung des Daseins ansieht, d.h. in der üblichen Sprechweise: des Ich oder Subjekts, das von allem andern, was ist, dadurch unterschieden ist, daß es für sich selbst da ist. Zum Dasein gehört es unaufhebbar, in der Welt zu sein. Nur von der Erforschung des Daseins aus ist nach dieser Auffassung der Sinn vom Sein und der Sinn von Welt zu erschließen, und von hier aus können die prinzipiellen philosophischen Fragen überhaupt erst in sachgemäßer Form gestellt werden.

Was hier Dasein genannt ist, das ist nicht Husserls reines Ich. Man könnte sagen: es ist der Mensch, wie er sich im Dasein vorfindet. Nur darf man unter Mensch nicht die Spezies verstehen, die in der empirischen Anthropologie erforscht wird, auch nicht den Menschen, wie ihn die Geschichte und die andern Geisteswissenschaften behandeln, sondern eben das ins Dasein Geworfene, das sich als ins Dasein Geworfenes vorfindet: es findet sich als ein zeitlich sich streckendes, das aus einer dunklen Vergangenheit kommt und einer Zukunft entgegenlebt, die es in gewissen Grenzen selbst entwerfen kann und muß, die aber doch letztlich auch ein Dunkles ist. Darum gehört nach Heidegger zu diesem Dasein, das aus dem Dunkel kommt und ins Dunkel hineingeht, unaufhebbar die Sorge. Das sind nur einige spärliche Andeutungen über die Seinsphilosophie Heideggers, die einer größeren Öffentlichkeit zuerst durch sein großes Werk Sein und Zeit bekannt geworden ist. Sie sollen noch ergänzt werden, wenn wir die weltanschauliche Bedeutung dieser Philosophie erwägen.


Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Die weltanschauliche Bedeutung der Phänomenologie. Editions Nauwelaerts, Louvain 1962, Seite 12. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Welt_und_Person.pdf/12&oldid=- (Version vom 31.7.2018)