Seite:Edith Stein - Welt und Person.pdf/131

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Was ist Metaphysik?

nichtenden Nichts liegt in dem: es bringt das Dasein allererst vor das Seiende als ein solches[1]. „Das Nichts ist die Ermöglichung der Offenbarkeit des Seienden als eines solchen für das menschliche Dasein. Das Nichts gibt nicht erst den Gegenbegriff zum Seienden her, sondern gehört ursprünglich zum Wesen des Seins selbst. Im Sein des Seienden geschieht das Nichten des Nichts“[2].

Zeugnis für die „ständige und ausgebreitete, obzwar verstellte Offenbarkeit des Nichts in unserem Dasein“ ist die Verneinung. Sie spricht sich im Nein-sagen je über ein Nicht aus“, vermag aber aus sich kein Nicht aufzubringen, weil sie „nur verneinen kann, wenn ihr ein Verneinbares vorgegeben ist“[3]. Das ist aber nur möglich, wenn „alles Denken als solches auf das Nicht schon vorblickt … Das Nicht entsteht nicht durch die Verneinung, sondern die Verneinung gründet sich auf das Nicht, das dem Nichten des Nichts entspringt“[4]. Die Verneinung ist auch nicht das einzige nichtende Verhalten; auf das Nicht gründet sich auch das Entgegenhandeln, Verabscheuen, Versagen, Verbieten, Entbehren. „Die Durchdrungenheit des Daseins vom nichtenden Verhalten bezeugt die ständige und freilich verdunkelte Offenbarkeit des Nichts …“[5] Die meist niedergehaltene Angst, die es offenbart, tritt am sichersten hervor im verwegenen Dasein. „Dieses aber geschieht nur aus dem, wofür es sich verschwendet, um so die letzte Größe des Daseins zu bewahren“. Die Angst Verwegener ist nicht der Freude oder dem behaglichen Vergnügen des beruhigten Daseins gegenüberzustellen. „Sie steht… im geheimen Bunde mit der Heiterkeit und Milde der schaffenden Sehnsucht“.

„Das Hineingehaltensein des Daseins in das Nichts … macht den Menschen zum Platzhalter des Nichts. So endlich sind wir, daß wir gerade nicht durch eigenen Beschluß und Willen uns ursprünglich vor das Nichts zu bringen vermögen … Die Hineingehaltenheit des Daseins in das Nichts auf dem Grunde der verborgenen Angst ist das Übersteigen des Seienden im Ganzen: die Transzendenz … Metaphysik ist das Hinausfragen über das Seiende, um es als ein solches und im Ganzen für das Begreifen zurückzuerhalten“[6]. Die Frage nach dem Nichts umspannt das Ganze der Metaphysik:


  1. a.a.O. S. 19.
  2. a.a.O. S. 20.
  3. a.a.O. S. 21.
  4. a.a.O. S. 22.
  5. a.a.O. S. 23.
  6. a.a.O. S. 24.
Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Martin Heideggers Existentialphilosophie. Editions Nauwelaerts, Louvain 1962, Seite 131. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Welt_und_Person.pdf/131&oldid=- (Version vom 31.7.2018)