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Abschnitt I

ohne weiteres ausgelöst werden, können von der Person angenommen oder abgelehnt werden, sie kann sich ihnen frei hingeben oder sich ihnen entziehen[1]. Und es werden auf dieser Stufe freie Akte möglich, deren das Tier nicht fähig ist. Diese Akte, die sich prinzipiell nur auf dem Grunde von Stellungnahmen vollziehen lassen, verdanken ihren materialen Gehalt eben diesem Fundament, auf dem sie sich erheben. Sie, die das eigentliche Leben des freien Subjektes als solchen darstellen[2], haben dieselbe Leere und Ergänzungsbedürftigkeit durch eine von andersher zu beziehende Fülle wie dieses Subjekt selbst.

Die aktiven Aktionen der selbstherrlichen Person sind also materialiter keine anderen als die passiven der seelischen Sphäre, zu deren Herrn sie sich macht. Sie verfügt über diese Sphäre, aber eben nur über sie. Was in diesem Bereich möglich ist, damit kann sie nach ihrem Belieben schalten und walten. Ihre Leistung besteht in der Auswahl, die sie unter den vorhandenen Möglichkeiten trifft. Sie kann gewisse seelische Regungen unterdrücken, gelegentlich oder systematisch, und andere unterstreichen und pflegen und auf diesem Wege an der Bildung ihres Charakters arbeiten[3]. Das ist die Selbstherrlichkeit und Selbsterziehung, deren sie fähig ist. Selbstüberwindung, d.i. radikale Umgestaltung des natürlichen Selbst und Erfüllung mit einem neuen seelischen Gehalt, ist für die selbstherrliche Person prinzipiell unmöglich.

Das freie Belieben, mit dem sie über ihre natürliche seelische Sphäre verfügt, birgt noch Probleme in sich. Sie kann unter den vorhandenen Möglichkeiten ganz nach Belieben wählen. Diese Wahl kann schlechthin willkürlich erfolgen, oder es kann nach einem Prinzip ausgewählt werden. Im ersten Fall ist noch zu analysieren, was wir unter dieser Willkür zu verstehen haben. Im zweiten müssen wir fragen, woher denn die Person das Prinzip der Auswahl nimmt. Schrankenlose Willkür würde bedeuten, daß die Person ohne jeden Grund so oder so entschiede. Sie kann sich dem natürlichen seelischen Getriebe einfach überlassen, es in Bausch und Bogen annehmen. Das wäre der minimale Gebrauch, den sie von ihrer Freiheit machen kann, aber zugleich der am wenigsten gefährliche.


  1. (Zusatz fehlt im Manuskript. Anm. d. Herausgeber)
  2. Annahme und Ablehnung von Stellungnahmen rechnen wir ihnen zu.
  3. (Zusatz fehlt im Manuskript. Anm. d. Herausgeber)
Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Die ontische Struktur der Person und ihre erkenntnistheoretische Problematik. Editions Nauwelaerts, Louvain 1962, Seite 141. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Welt_und_Person.pdf/141&oldid=- (Version vom 31.7.2018)