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Die ontische Struktur der Person...

bleiben. Solange aber der Geist des neuen Reiches nicht die Seele erfüllt, hat sie auch in ihm noch keinen Standort. Und wie dieses Einströmen möglich ist, die Frage ist noch unbeantwortet.

Das Böse könnte an den Menschen nicht heran, wenn es nicht in ihm eine ursprüngliche Stätte hätte. Er ergreift es mit Freiheit, wenn er der Versuchung erliegt. Aber dieses Ergreifen, das kein pures geistiges Erfassen ist, sondern seelische Hingabe, ist nur möglich, wenn das, was ergriffen wird, zuvor schon in die Seele Eingang gefunden hat. In die Seele aber findet nur Eingang, was ihr gemäß ist. Sie steht nicht allem und jedem offen wie der Geist. Danach sieht es nun wieder so aus, als ob sie den verschiedenen Reichen, in denen sie Fuß fassen kann, in gleicher Weise angehörte. Es erscheint unverständlich, warum sie im einen mehr als im andern Zuhause sein soll, und auch, warum es – im Gegensatz zum Reich der Natur – eines besonderen Durchbruchs dahin bedarf. Wenn sie allen gleich ursprünglich angehört, warum kann sie dann nicht von überall gleichmäßig zu Reaktionen bewegt werden? Zunächst: allen ursprünglich angehören heißt nicht, allen in gleicher Weise angehören. Was in der Natur steht, steht in ihr doch allein. Die Verbundenheit mit allem, was zur Natur gehört, besagt für die Seele nur, daß sie davon in äußerem Anstoß erschüttert werden kann. Einströmen kann von daher nichts in sie. Und wenn sie selber ganz Natur ist, und das heißt, dumpf in sich verschlossen, kann überhaupt nichts in sie einströmen. Wir sahen, daß sie trotzdem nicht bei sich ist, weil ihr Leben im Reagieren auf äußere Anstöße vergeht. Sie kommt nicht dazu, frei auszuleben, was in ihr selbst lebt.

Erst die geistig wache Seele ist so geöffnet, daß sie etwas in sich aufnehmen kann. Und was in sie einströmen kann, ist wiederum nur Geist. Nur in geistigen Sphären kann die Seele wahrhaft eingebettet sein, nicht in der Natur. Allerdings haben wir von Natur bisher nicht nur in diesem Sinne gesprochen. Wenn von natürlichen Reaktionen die Rede war, so sollten diese nicht bloß auf das dumpfe Seelenleben eingeschränkt sein, sondern es war zugleich auf etwas abgezielt, was sich auch im geistigen Leben findet. Zwischen Eindrücken und Reaktionen bestehen Zusammenhänge, die wir als Vernunftgesetzlichkeit bezeichnen. Diese Vernunft, so sahen wir, waltet teils im Dunkeln, teils tritt sie offen zutage und wird von dem Subjekt der Eindrücke und Reaktionen selbst durchschaut. Die Vernunftgesetze

Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Die ontische Struktur der Person und ihre erkenntnistheoretische Problematik. Editions Nauwelaerts, Louvain 1962, Seite 148. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Welt_und_Person.pdf/148&oldid=- (Version vom 31.7.2018)