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Abschnitt IV

Das Spüren der leiblichen Zustände und Vorgänge hat verschiedene Formen, und dem entsprechen verschiedene Grundhaltungen des Subjekts zu und in seinem Leibe. Man kann Empfindungen an bestimmten oder minder scharf umrissenen Stellen des Leibes haben: Schmerz, Druck oder dgl. Dieses Haben kann ein pures An-der-Peripherie-seines-Seins-betroffen werden sein. Darüber hinaus kann sich ein geistiger Blick auf die Empfindungen richten und sie zum Gegenstande machen. Das ist der Fall, wenn man rein menschlich feststellt, daß man da oder dort einen Schmerz hat und eventuell weiter nachforscht, wo er herkommt und was dagegen zu tun ist. Es ist auch der Fall, wenn man an dem Schmerz (intentional) leidet.

Der Blick kann sich ferner mittels der Empfindungen auf den Leib selbst richten, denn es ist ihre Funktion (phänomenologisch verstanden), den Leib als solchen zur Gegebenheit zu bringen. Der Leib ist in dieser Einstellung ein Gegenstand, auf den man hinsieht, so wie es auch beim Hinblicken auf die Empfindungen der gegenständliche Hintergrund ist, von dem sie sich abheben. Wird man dagegen von und in den Empfindungen betroffen, ohne den geistigen Blick darauf zu richten oder hindurchgehen zu lassen, dann lebt man im Leibe. Das Subjekt steht ihm nicht gegenüber, sondern ist in ihm versunken, es ist primär leibliches Subjekt, Subjekt der leiblichen Zustände.

Für ein Subjekt ohne seelisch-geistiges Leben ist dieses Versunkensein im Leibe das einzig Mögliche; es kann ihm nicht gegenübertreten, und es hat keine tiefere Innerlichkeit, in die es sich zurückziehen könnte. Sein Innenleben beschränkt sich auf das Spüren seiner Leibzustände. Für ein Subjekt dagegen, das Seele und Geist hat, stellt das Spüren der Leibzustände die äußerste Peripherie seines Innenlebens dar; je tiefer es in sich selbst hinabsteigt, desto mehr rückt der Leib von ihm ab. Und umgekehrt: um tiefer in sich selbst hinabsteigen zu können, muß es sich von seinem Leibe so weit als möglich lösen und darf nicht in ihm leben. So weit als möglich – die völlige Ablösung stellt den Grenzfall dar. Wenn wir ihn realisiert denken, dann ist das Subjekt unempfindlich geworden gegen alles, was mit dem Leibe geschieht, und hat die Möglichkeit erlangt, ihn zu verlassen. Zwischen diesen beiden Polen, dem völligen Preisgegebensein an den Leib und dem völligen Befreitsein, sind die mannigfachsten Zwischenstufen möglich. Eine Person kann vorzugsweise

Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Die ontische Struktur der Person und ihre erkenntnistheoretische Problematik. Editions Nauwelaerts, Louvain 1962, Seite 173. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Welt_und_Person.pdf/173&oldid=- (Version vom 31.7.2018)