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Die ontische Struktur der Person...

die vom Licht der Gnade erhellt wird und sich in diesem Lichte sieht, muß gewahren, was böse an ihr war und ist und von Abscheu dagegen erfüllt werden und es ausstoßen. Und indem sie es ausstößt, wird sie frei davon, es wird ihr vergeben.

So könnte es prinzipiell sein. Aber faktisch ist es kein so reibungsloser Vorgang, kein rein geistig-seelisches Geschehen, sondern zugleich ein psychisches und den Gesetzen der psychischen Realität unterworfen. Schon die Sünde bekommt ein ganz anderes Gesicht, wenn man die psychischen Gesetze mit in Betracht zieht als wenn man rein auf das Seelische hinblickt. Ihrem reinen Wesen nach ist sie eine Befleckung der Seele, die eintritt, wenn der Mensch eine Schuld gegen Gott auf sich ladet. Man kann sagen, daß jede Schuld eine Schuld gegen Gott in sich enthält und jeder moralische Fehltritt darum zugleich eine Sünde ist. Pure Sünde liegt vor, wenn ich mich gegen Gott selbst wende, sein Gebot als solches übertrete, mich gegen seine sichtbar dargebotene Gnade verschließe. Tue ich etwas, nicht weil, sondern trotzdem es gegen Gottes Gebot ist oder ohne daß mir Gottes Gebot überhaupt vor Augen steht, so ist von dem Sündenquale ein Gehalt abhebbar, der rein ethischer und rechtlicher Beurteilung unterliegt.

Die Sünde ist nicht anders als durch den Gegensatz zu Gott zu fassen. Sündhaft ist die Seele, die sich gegen Gott auflehnt, und auch die, die in Gottferne und im Widerspruch mit seinem Geist lebt, ohne es zu wissen. Und wie Entfernung und Gegensatz zu Gott die Sünde ausmachen, so kann sie nur durch Annäherung und Vereinigung beseitigt werden. Wenn aller Schaden gutgemacht ist, den ich einem andern zugefügt habe, und wenn ich die meiner Schuld gebührende Strafe erlitten habe, ist doch an der Sünde nichts geändert. Um von der Sünde frei zu werden, gibt es keinen andern Weg als sich direkt mit Gott auszusöhnen. Man muß zunächst einmal erkennen, daß man, abgesehen von allem andern, gegen Gott gefehlt hat, man muß sich davon durchdringen lassen, was es heißt, im Gegensatz zu Gott zu stehen, und sich ihm in völliger Aufgabe seiner selbst unterwerfen, damit man von ihm Vergebung erlangen kann.

Das ist der Tatbestand der Sünde und Sündenvergebung ohne Berücksichtigung der psychischen Organisation. Das Durchdrungenwerden von der Erkenntnis der eigenen Sündhaftigkeit und das

Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Die ontische Struktur der Person und ihre erkenntnistheoretische Problematik. Editions Nauwelaerts, Louvain 1962, Seite 182. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Welt_und_Person.pdf/182&oldid=- (Version vom 31.7.2018)