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Abschnitt IV

daraus entspringende aktive Sich-geben-die-Sünde-wenden (gegen die sündhafte Natur wie gegen die spezielle Befleckung durch ein peccatum actuale) ist die Reue, die gleichfalls noch rein seelisch zu verstehen ist und ohne die keine Sündenvergebung gedacht werden kann.

Nun muß man sich klarmachen, welche Konsequenzen die Sünde in einem psychischen Subjekt gemäß den Gesetzlichkeiten seiner Struktur haben muß. Es gibt im Psychischen etwas, was man als Trägheit bezeichnen könnte und was der Trägheit in der materiellen Natur entspricht. Jedes aktuelle psychische Geschehen disponiert die Psyche zu einer bestimmten Reaktionsweise. Wenn ich z.B. durch die Handlung eines anderen in Zorn versetzt worden bin – in einer ganz vernunftgemäßen Motivation, nehmen wir an –, so entsteht in mir eine Disposition, so zu reagieren, und sie verfestigt sich, je öfter sie in Funktion tritt; bzw. je öfter sich eine solche Reaktion wiederholt, desto mehr pflegt darin das Gewohnheitsmäßige das ursprünglich Motivierte zu überwiegen. Diese Dispositionen (zu denen wohl vererbte Anlagen ebenso gehören wie erworbene Eigenschaften) determinieren das psychische Geschehen fast wie Naturgesetze. Fast, denn es bleibt ihnen gegenüber die Freiheit der Person bestehen. Sie kann prinzipiell immer sich gegen die Macht der Gewohnheit auflehnen und auf ihre Freiheit und die ursprünglichen Motivationen zurückgreifen.

Wenn der Mensch seiner Geistigkeit nach dahin tendiert, der natürlichen Vernunft gemäß zu reagieren, so verfestigt sich seiner psychischen Struktur nach diese Tendenz zu bleibenden Dispositionen. Und ebenso wird ihm das Böse, wenn er sich einmal damit einläßt, zur Gewohnheit. Und wenn schon die Reue in ihm wirksam ist und sein Geist willig, so vermag die schlechte Gewohnheit zu bewirken, daß er wieder und wieder das Böse tut, von dem er sich innerlich abgekehrt hat. Und so muß eine eigene Aktivität entfaltet werden, um das Böse auch dem Fleische nach auszurotten. Hier hat die Buße ihre Stelle. Sie hat die Funktion, dem Sünder die Abkehr vom Bösen und die Hinwendung zum Guten in Fleisch und Blut übergehen zu lassen. Jeder speziellen sündhaften Neigung muß eine eigene Bußaktion angepaßt werden, um den Menschen davon zu entwöhnen und eine entgegengesetzte Disposition anzubahnen.

Auch für die Askese erwächst hier eine neue Aufgabe. Nämlich

Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Die ontische Struktur der Person und ihre erkenntnistheoretische Problematik. Editions Nauwelaerts, Louvain 1962, Seite 183. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Welt_und_Person.pdf/183&oldid=- (Version vom 31.7.2018)