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Abschnitt V

prinzipielle Notwendigkeit einzusehen, daß es eine objektive Anstalt geben muß, der ihre Verwaltung anvertraut ist. Es wäre denkbar, daß sich dem Gläubigen unter der Hand das tägliche Brot in den Leib des Herrn verwandelte. Es wäre auch denkbar, daß er auf dem Wege der inneren Erleuchtung darüber belehrt würde, was ihm als Buße auferlegt ist, und daß ihm ebenso die Lossprechung von der Sünde unmittelbar offenbart würde. Auf der andern Seite besteht die Möglichkeit, daß eine objektive Anstalt damit betraut ist, die Gnade des Herrn in äußerer Gestalt sichtbar zu verkörpern, Sein Wort zu bewahren und zu verkünden, die von Ihm gewählten Gnadenmittel zu verwalten und auszuteilen. Daß der Dienst in dieser Anstalt, die Auswahl derer, die berufen sind, das Wort zu verkünden und die Sakramente auszuteilen, selbst an ein Sakrament gebunden ist, ist durchaus ihrem Sinn entsprechend. Und die ganze Institution der äußeren Kirche ist gemäß jener Anpassung an die sinnliche Natur des Menschen, aus der heraus uns die Sakramente verständlich wurden. Die Idee der Kirche, des Altarssakraments und des Abendmahls gehören ganz eng zusammen miteinander und mit der Menschwerdung Christi: die Gottheit hat in Christus äußere Gestalt angenommen, um für alle Zeit unter den Menschen sichtbar zu wohnen. Im Altarssakrament ist er leibhaft gegenwärtig und durch das Abendmahl wird jeder, der es empfängt, in seinen Leib umgestaltet, sodaß die in der Kirche vereinte Gemeinschaft der Gläubigen im allerwörtlichsten Sinne den Leib Christi darstellt.

Wenn der Herr diesen Weg gewählt hat, so ist es wiederum nicht Sache des Menschen, ihn anzunehmen oder abzulehnen. Der Herr kann eine Gnade auch denen verleihen, die außerhalb der Kirche stehen. Aber kein Mensch hat das als sein Recht zu fordern, und keiner darf sich selbst mit Berufung auf diese Möglichkeit willentlich aus der Kirche ausschließen.


V

Ob es eine äußere Kirche und Sakramente als göttliche Institutionen gibt, das ist, wie schon betont, eine rein faktische Frage und die Antwort darauf kann nur der Glaube geben. Darum müssen wir weiterfragen, was der Glaube ist, und von daher wird auch auf die Gnade wieder neues Licht fallen.

Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Die ontische Struktur der Person und ihre erkenntnistheoretische Problematik. Editions Nauwelaerts, Louvain 1962, Seite 185. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Welt_und_Person.pdf/185&oldid=- (Version vom 31.7.2018)