Seite:Edith Stein - Welt und Person.pdf/189

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Abschnitt V

sonst davon sprechen. Es wird im Akt des Glaubens der Gegenstand des Glaubens nicht als so und so seiend erkannt bzw. nicht erkannt, daß er so und so ist. Es ist nur aus dem Glauben eine solche Erkenntnis zu entnehmen. Das ist auch sonst das Verhältnis von Kenntnisnahme und Erkenntnis, z.B. zwischen Wahrnehmung und Erkenntnis der äußeren Welt. Aber auch eine Kenntnisnahme wie die Wahrnehmung ist das Erfassen im Glauben nicht. Der Gegenstand des Glaubens wird nicht gesehen. Daher rührt vielleicht die Verwechslung der fides mit der blinden δόξα. Aber ungesehen, keinem Sinn zugänglich, ist er uns doch unmittelbar gegenwärtig, er rührt uns an, er hält uns und macht es uns möglich, uns an ihn zu halten.

Der Gegenstand des Glaubens ist Gott. Fides ist Glaube an Gott. In dem an kommen alle die Momente zum Ausdruck, die ihn von allem theoretischen Glauben unterscheiden. Wir sprechen auch von Glauben an einen Menschen Und auch das scheint in den Bereich der fides zu gehören. Wir meinen, wenn wir vom Glauben an einen Menschen sprechen, daß wir uns an ihn halten oder doch halten können; wir meinen, daß auch er uns hält, daß wir bei ihm geborgen sind, bei ihm eine Heimstätte haben oder doch haben könnten, sobald wir dessen bedürften. Und wir glauben auch das, ohne zu sehen, d.h. ohne Beweise aus der Erfahrung dafür anführen zu können oder ohne sie als Grundlagen des Glaubens zu benützen, wo sie uns zur Verfügung stehen.

Das drückt die Wahl des Wortes Glauben aus. Und noch etwas anderes liegt darin: woran wir uns halten oder woran wir einen Halt zu haben meinen, auf den wir uns jederzeit stützen könnten, das muß unwandelbar feststehen. Die Unwandelbarkeit gehört zum Gegenstand des Glaubens. Und nun heißt es bei der heiligen Teresia: „Bedenke wohl, wie schnell die Menschen sich ändern, und wie wenig man sich auf sie verlassen kann; darum halte dich fest an Gott, der unveränderlich ist“[1]. Darin liegt: Wir neigen wohl dazu, an Menschen zu glauben, aber sie sind nicht die wahren Gegenstände des Glaubens. Ob das richtig ist, ob und wie weit es angebracht ist, an Menschen zu glauben, das braucht uns hier nicht zu beschäftigen. Für uns ist es in diesem Zusammenhang nur wichtig zu wissen, ob der Glaube an Menschen als ein echter Fall von fides anzusehen ist


  1. Siehe Schriften, IV 2, S. 98.
Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Die ontische Struktur der Person und ihre erkenntnistheoretische Problematik. Editions Nauwelaerts, Louvain 1962, Seite 189. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Welt_und_Person.pdf/189&oldid=- (Version vom 31.7.2018)