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Die ontische Struktur der Person...

Das ist der einzige Weg, der uns bleibt, wenn uns keine persönlichen Mittler gegenwärtig sind. Und es kann sich nun die Lage umkehren, indem uns die Worte erst zur Person des Mittlers hinführen: so, wenn uns heute aus den Worten Christi seine Gottheit anspricht.

Ähnlich steht es mit den äußeren Gnadenmitteln, den Sakramenten und der Kirche. Es kann sich auf die Worte der Schrift, an die wir glauben, die Überzeugung gründen, daß es sich dabei um göttliche Institutionen handelt. Es ist aber auch möglich, daß wir unmittelbar an sie glauben, d.h. in ihnen den Geist Gottes gegenwärtig spüren.

Es schließt sich nun jetzt zusammen, was über den Glauben und was früher über Gnade gesagt war. Die Gnade ist der Geist Gottes, der zu uns kommt, die zu uns herabsteigende göttliche Liebe. Im Glauben wird die objektiv uns zuteilgewordene Gnade uns subjektiv zu eigen. Dies noch in verschiedenem Sinne. Es kommt zunächst darin zum Bewußtsein, was in uns wirksam ist. Die Gnade, die in der Seele Wohnung nimmt, wird im Glauben dem Geist sichtbar, geistig angeeignet. Sie wird außerdem von der Seele aktiv ergriffen, als ihr Eigentum in Empfang genommen. Und damit zugleich wird das personale Zentrum, in und mit dem die göttliche Liebe entgegengenommen wird, eine neue Ausgangsstätte, aus der die göttliche Liebe wiederum hervorbricht: als Liebe Gottes und als Liebe des Nächsten und aller Geschöpfe in Gott. Die Eigentümlichkeit des Glaubensaktes: Erkenntnis, Liebe und Tat zugleich zu sein, wird hier aufs Neue deutlich.

Wir können den Glauben als die Gnadenwirkung κατ’ ἕεοχη bezeichnen. Gläubig zu werden ohne Empfang der Gnade, ist unmöglich. Nur bereitsein zum Glauben kann man kraft der Freiheit. Andererseits kann der Glaube nicht zur Entfaltung kommen, wenn die Gnade nicht mit Freiheit ergriffen wird. Gnade und Freiheit werden für den Glauben konstitutiv. Dasselbe stellten wir auch beim Erlösungswerk fest. Und in Wahrheit ist Glauben und Erlöstwerden ein und dasselbe. Durch den Glauben werden wir gerecht, d.h. wir sind gerecht gerade so weit wie wir im Glauben und aus dem Glauben leben. Eine Trennung von Glauben und Wirken ist nur möglich, solange man den Glauben nicht in seiner vollen Konkretion erfaßt hat und ihn mit dem in ihm beschlossenen theoretischen Moment verwechselt. Wenn jemand nur überzeugt ist, daß die göttliche

Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Die ontische Struktur der Person und ihre erkenntnistheoretische Problematik. Editions Nauwelaerts, Louvain 1962, Seite 196. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Welt_und_Person.pdf/196&oldid=- (Version vom 31.7.2018)