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Darstellung der hl. Teresia von Jesus

ablösen muß, um auf das zu kommen, was eßbar ist. Ebenso sind um dieses Gemach herum und über demselben viele Gemächer. Wir müssen uns nämlich das, was die Seele angeht, als eine Weite und Größe denken; denn nichts davon ist übertrieben, weil die Seele viel mehr zu fassen imstande ist, als wir uns denken können“[1].

Außerhalb der Ringmauern dehnt sich die äußere Welt, im innersten Gemach wohnt Gott. Dazwischen (was natürlich nicht räumlich zu verstehen ist) liegen die sechs Wohnungen, die das Innerste (die siebente) umgeben. Die Bewohner aber pflegen draußen herumzuschwärmen oder sich in den Ringmauern aufzuhalten, sie wissen vom Innern der Burg nichts. Das ist freilich ein merkwürdiger, ja ein krankhafter Zustand, daß jemand sein eigenes Haus nicht kennt. Aber tatsächlich sind viele Seelen „so krank und mit äußerlichen Dingen sich so zu beschäftigen gewohnt…, daß es ihnen unmöglich scheint, in ihr Inneres einzukehren. Denn die Gewohnheit, immer mit den kriechenden und andern Tieren, welche sich um die Burg herum aufhalten, umzugehen, hat sie diesen fast gleich gemacht“[2]. So haben sie es verlernt zu beten. Nun ist aber „die Pforte, durch welche man in diese Burg eingeht, das Gebet und die Betrachtung“. Denn zu einem Gebet, das diesen Namen verdient, gehört es, daß man „bedenkt,… wer denn der ist, der da bittet, und wer der, den man bittet“.

Und darum ist die erste Wohnung, in die man durch die Pforte gelangt, die der Selbsterkenntnis. Man kann nicht die Augen zu Gott erheben, ohne sich der eigenen Niedrigkeit bewußt zu werden. Gotteserkenntnis und Selbsterkenntnis stützen sich gegenseitig. Durch die Selbsterkenntnis nähern wir uns Gott. Darum wird sie niemals überflüssig, wenn man auch schon in die inneren Wohnungen gelangt ist.

Andererseits „werden wir… nie zur vollkommenen Selbsterkenntnis gelangen, wenn wir uns nicht auch befleißen, Gott kennenzulernen; denn durch die Betrachtung seiner Größe werden wir unsere Armseligkeit, durch die Betrachtung seiner Reinheit


  1. a.a.O. S. 20 f.
  2. a.a.O. S. 12. Der Herausgeber versteht unter diesen Tieren die Leidenschaften und bösen Gewohnheiten der Seele; da sie sich aber außerhalb der Burg befinden und von dort her in die äußeren Gemächer eindringen, dürften wohl eher die Versuchungen gemeint sein, die vom Verkehr mit der Welt kommen.
Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Die Seelenburg. Editions Nauwelaerts, Louvain 1962, Seite 41. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Welt_und_Person.pdf/41&oldid=- (Version vom 31.7.2018)